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Die Geschichten des Herrn Oberst

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Prager Intellektuelle haben wieder 2twas zu lachen. Eher unfreiwilliges Objekt Schwejkschen Humors ist iie neue, vierzehntägig erscheinende rheaterzeitschrift „Seena“, die Nachfolgerin der 1970 eingestellten Pu-olikation „Divadlo“ (Theater). Als Chefredakteur fungiert kein Mann ies Geistes, sondern des Schwertes: Dtakar Bruna, Oberstleutnant und

ehemaliger Zensurbeauftragter für militärische Nachrichten beim CSSR-Fernsehen. Ihm kongenial zur Seite steht Josef Jelen, ein exkommunizierter katholischer Priester, den man in Prag als fanatischen prosowjetischen Parteigänger kennt. Darin gleicht er seinem Chef Bruna aufs Haar.

Das Ergebnis der Bemühungen beider Herren ist in etwa so, wie man es von ihnen erwarten konnte: In der ersten Ausgabe von „Seena“ findet man einen programmatischen Artikel von Jifina Svorcovä, der Vorsitzenden des Verbandes tschechischer Dramatiker. Sie weist mit erhobenem Zeigefinger darauf hin, daß die Künste ihre Verpflichtungen gegenüber Partei und Staat zu erfüllen hätten. Für ideologische und ästhetische Probleme gelte es, marxistisch-leninistische Lösungen zu finden.

Auch Oberstleutnant Bruna steuerte einen Geistesblitz bei. Die Tschechen und Slowaken, so steht da zu lesen, seien eben dabei, ganz neue Wege in eine bessere Zukunft zu finden. In einer solchen „aufregenden Atmosphäre“ dürften die Künstler nicht abseits stehen. Da er von vornherein regimekritische (und weltberühmte) Dichter wie Klima, Havel und Kohout kaum zu Mitarbeitern seines Blättchens machen kann, bietet Bruna sich als Chancengeber „für neue Talente, frische Ideen“ an. Frisch, fröhlich, frei, wenn auch nicht fromm, geht es weiter — in militärischer Diktion: „Seena“ ist laut seinem Chefredakteur eines der „Signalhörner, mit dem zur Attacke für den kreativen Kampf“ geblasen wird. Streng nach den kulturpolitischen Richtlinien der Partei natürlich. Diese Kulturpolitik wird auf Seite 7 von Arno Kraus, dem leitenden Sekretär des Dramatikerverbandes, genau definiert: Sozialistische Kunst, Kreativität (ideovost) sind ohne die „weise Hilfe der Partei“ undenkbar. Parteimitgliedschaft fördert den Einfallsreichtum. Und Kraus vergibt auch denen, die einmal „geirrt“ haben — ohne dabei das Jahr 1968 zu erwähnen. Indirekt lädt er sie zur Mitarbeit ein, wiewohl der Klassenfeind innerhalb der Dramatikergilde „auf das unerbittlichste zu bekämpfen ist“.

Von Kampf und Attacken ist also in der Theaterzeitung des Herrn Oberst die Rede. Das Theater selbst kommt ein bißchen zu kurz. Der Rest ist schnell erzählt: Ein paar Seiten über Provinztheater in Böhmen und Mähren, ein Überblick über die Produktionen der Barrandov-Film-Studios und eine Geschichte von der Zusammenarbeit des S. K. Neumann-Theaters in Prag-Liben mit der Praga-Automobilfabrik. Damit werden unangenehme Erinnerungen an 1968 geweckt. Die Neumann-Bühne war Sitz der streng moskaugläubigen Künstler, während der berüchtigte „Brief der 99“ aus der Praga-Fabrik kam. Darin erklärten in den kritischen Tagen vor der Niederwerfung des Prager Frühlings 99 Automobilarbeiter ihre unbedingte Solidarität mit der Sowjetunion.

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