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Die Musil-Mannen

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Riesen-Affichen von beinah zwei mal drei Meter — und nicht im Solde der “Wachsmittel-, der Limonaden- oder der Badehosenreklame, sondern im Dienste der . Literatur: dergleichen, wahrhaftig, hatte es in Wien noch nicht gegeben. Man stelle sich vor: Ganze Plakatwände vom Porträt eines Dichters okkupiert (dazu eines, den noch immer die breite Öffentlichkeit kaum dem Namen nach, geschweige von veritabler Lektüre her kennt)! Und dieser Dichter, für den Durchschnittspassanten so recht ein Mann ohne Eigenschaften, macht nun nicht etwa für einen einschlägigen Markenartikel Propaganda: für eine ihn besonders inspirierende Kaffeesorte zum Beispiel oder einen bestimmten Schreibmaschinentyp oder doch wenigstens für seinen eigenen neuesten Bestseller, sondern nur einfach für ein wenig Popularisierung seines Werks, für ein weiteres Stück Abbau von Leserscheu.

Das Übermaß an Unverständnis, das Robert Musil, diesen großen österreichischen Romancier, zu Lebzeiten so sehr an seiner Heimat leiden gemacht hat, gebietet ein ebensolches Ubermaß an Gutmachung — das scheint die Idee gewesen zu sein, als man — nach den anhaltenden germanistisch-editorischen Fachrivalitäten ohnedies ein spätes Wunder! — die Experten zur Gründung einer Internationalen Robert-Musil-Gesellschaft nach Wien rief.

Das Wunder, das sich eine der Gemeinde Wien assoziierte Großbank dem Vernehmen nach eine Drittelmillion Schilling kosten ließ, wurde möglich, weil der österreichische Bundeskanzler sich als passionierter Musilianer und den „Mann ohne Eigenschaften“ als seine Lieb-lingslektüre deklariert hatte. Robert Musil — der posthume Staatsdichter von Kreiskys Gnaden. Eine ideale Gelegenheit für die. bekannt glücklose Großmannssucht der Gemeinde Wien, sich in einer anderen Sparte zu „bewähren“: nach Ausrutschern im Filmgeschäft, im Zeitungs- und

im Ausstellungswesen nun das große Engagement in Sachen Literatur.

Am gelungensten noch die (im wesentlichen allerdings vom Klagen-furter Musil-Archiv besorgte) Dokumentenausstellung in der Nationalbibliothek (der lediglich der Mangel anhaftete, daß sie — wegen dessen bedrohlich schadhafter Beschaffenheit — kaum etwas von dem seit zwei Jahren daselbst verwahrten

Nachlaß des Dichters zeigen konnte, auf den man doch gerade so gespannt gewesen wäre).

Eine Katastrophe hingegen die vom Verband Wiener Volksbildung im Auditorium maximum der Universität lust- und lieblos abgewickelte Podiumsdiskussion, bei der mehr über die fachlichen Referenzen der Vortragenden (Jan Aler, Helmut Arntzen, Friedrich Heer, Wolfdietrich Rasch, Joseph Strelka) gesagt wurde als zu dem (freilich auch miserabel gewählten) Thema: „Musils Auffassung von Kultur und Schule“. Die anderntags angesetzte „öffentliche Arbeitssitzung“, bei der immerhin aus erster Hand zu erfahren war, wie es zwischen Tokio, Moskau und Salamanca um die Rezeption von Musils Oeuvre steht, fand dafür vor leeren Bänken statt. Und die Gründungsversammlung der Musil-Inter-nationale im Palais Lobkowitz sowie die ihr angehängte Pressekonferenz gaben nicht nur eine Ahnung davon, welche immensen Aufgaben rund um den Musil-Nachlaß auf die Arbeitsstellen in Wien und Saarbrücken zukommen (die Transkription, die kritische Gesamtausgabe, die große wissenschaftliche Biographie), sondern auch davon, wie es um die angeblich endlich erzielte Einigkeit der seit Jahr und Tag zerstrittenen Musil-Forschung steht: Die österreichische Germanistik wurde ins Abseits verwiesen, und der unendlich verdiente Herausgeber der Rowohlt-Gesamtausgabe, Adolf Frise, soll, scheint es, überhaupt ausgebootet werden.

Da war es, angesichts all der künstlichen Bombastik der Wiener Musil-Woche (die auch noch — als Aufführungsersatz — eine Alibi-Matinee am Burgtheater, eine Lesung im „Haus des Buches“, eine Film- und eine Fernsehretrospektive einschloß) gut, daß Frise in seinem Referat über die Genesis der Musil-Gesellschaft nicht an jene schnöden Tage zu gemahnen vergaß, t'i deren einzige - Mitglieder noch ..Herr und -Frau Musil“ geheißen hatten ...

Fazit des viertägigen Massenaufgebots an Musil-Mannen: Soweit ihre Aktivitäten der Öffentlichkeit zugedacht waren, litten sie empfindlich unter ihrer Esoterik. Solange die Musil-Propaganda dermaßen gestelzt daherkommt, droht Österreichs Auflagenriesen Waggerl und Simmel nicht die Spür von Abwer-bung.

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