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Die Rückenschwimmer

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Zwei Wochen vor dem 23. August, an dem das offizielle Rumänien alljährlich aufwendig und wortreich der Tatsache gedenkt, daß es den Sowjets gelang, das Land in letzter Minute von der „falschen“ auf die „richtige“ Front herüberzuziehen, standen die Menschen wie eh und je Schlange vor den Geschäften. Diesmal mangelte es an Zucker. Meist wissen die geduldig Harrenden, wie mehrere Stichproben ergaben, nicht einmal, worauf sie warten. Bilder aus den ersten Nachkriegsjahren in Westeuropa feiern traurig-fröhliche Urständ.

Keine Zeitung, weder eine rumänische noch eine ungarische oder deutsche in Rumänien machte die Bevölkerung mit den Hilfsangeboten des Westens, vor allem der Schweiz ind der Bundesrepublik Deutschland, bekannt Doppelt unglaubhaft erschien es daher den Angesprochenen, daß der Westen nochmals die erwiesene Mißwirtschaft und den Mangel an Vorkehrungen zur Verhütung neuerlicher Überflutungen honorieren werde; allzu offenkundig waren die Hilfsgüter und -gelder im Jahr 1970 zur Sanierung der chronisch defizitären Devisenbilanz, statt für ihre vorgesehenen humanitären Zweck verwendet worden.

Die Rumänen, so sagt ein treffender Witz, müßten auf Geheiß ihres Conducators jetzt allesamt lernen, auf dem Rücken zu schwimmen. Der Grund? Sie sollen bei der nächsten Flut auch während des Schwimmens die Hände frei haben, um Beifall klatschen zu können. In Transsyl-vanien, dessen Dörfer und Städte, Patrizierhäuser und Kirchenburgen beredtes Zeugnis von jahrhundertealter Kultur und solidem Wohlstand ablegen, war dieser Beifall ohnehin schon immer dünn und Ceausescu vermeidet es tunlichst, aus den mehr applausfreudigen und anspruchsloseren Stammgebieten des alten Rumänien nach Norden zu kommen.

Insgesamt, so betrüblich das Ergebnis für Rumäniens Wirtschaft aussieht, lautet die Bilanz doch eher optimistisch. Ein normales, volkswirtschaftlich gesundes und mit Privatinitiative ausgerüstetes Land würde i mit Schäden dieser Größenordnung ohne weiteres fertig. Wo Landarbeiter aber im Monat knapp den Gegenwert von zwei Paar Schuhen, und Industriearbeiter kaum mehr als das Doppelte verdienen, wo 30 Jahre nach Einführung des Kommunismus das wirtschaftliche Heil zunehmend von Kooperationen mit Firmen des Westens abhängt, dort muß jede Störung an den Rand einer Katastrophe führen.

Offenbar beurteilt Bukarest selbst, im Gegensatz zu seinen eigenen Hilferufen, die Situation weniger dramatisch. Vor fünf Jahren wurde als erste Maßnahme die zollfreie Einfuhr von Hilfsgütern, vor allem in Form von Paketen von Freunden und Angehörigen, bekanntgegeben. Das dauerte fast ein Jahr und brachte den Empfängern eine kaum abschätzbare Hilfe. Diesmal geschah jedoch nichts dergleichen. Auch ein Paar Strumpfhosen, im Päckchen versandt muß, wie die Stichprobe ergab, hoch verzollt werden. Sodann: gerade jetzt wurden die Importzölle auf westliche Autos — die also bereits von Verwandten bezahlt und nach Rumänien expediert wurden — so drastisch erhöht, daß sie zum Danaergeschenk werden. 100 Prozent des Kaufwertes müssen die Empfänger zusätzlich dem Staat entrichten — in Devisen, versteht sich, deren Besitz sonst streng verboten ist. Und schließlich: Konnten Angehörige aus dem Westen bisher' wochenlang statt in rumänischen Hotels bei ihren Verwandten wohnen, so ist dies seit einigen Monaten streng verboten und unter hohe Strafen gestellt.

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