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Die Weisheit des Alters

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Das Wesen „Mensch" ist voll von Spannungen und Widersprüchen. Gerade in der heutigen Zeit scheint der Mensch von diesen Widersprüchen besonders geplagt zu werden — auch was seine Einstellung zum Alter betrifft.

Einerseits unternimmt er alles nur Erdenkliche, um möglichst alt zu werden. Er konsultiert regelmäßig Ärzte, nimmt lange und ■langweilige Diätkuren auf sich und legt sich auf den Operationstisch. Andererseits weiß er manchmal mit seinem Alter und seinem Pensionistendasein nichts anzufangen. Der „Pensionsschock" ist dem Status eines Modewortes schon längst entwachsen.

Universitätsinstitute beschäftigen sich mit den Problemen des Alters und der alten Menschen. Der Sozialstaat gibt jährlich Milliarden für die Sicherung eines sorgenfreien Lebensabends seiner Staatsbürger aus. Und dennoch: Ein zweispaltiges Verhältnis zum alternden Menschen ist unleugbar vorhanden.

Die Lebenserwartung des Menschen ist zur Zeit so hoch wie nie zuvor, der Anteil der Alten an der Gesamtbevölkerung steigt von Jahr zu Jahr. In früheren Gesellschaftsordnungen war der alternde und der alte Mensch fest eingebettet in Familie, Stamm, Beruf und Staat. Der Familienzu-;ammenhalt ist heute viel lockeer geworden, Eltern und Kinder ind voneinander unabhängier jeworden.

Früher waren die Alten den Fungen an Wissen und Erfahrung veit überlegen, heute wird das Wissen durch Medien und staatli-:he Bildungseinrichtungen ver-nittelt und nicht mehr durch die Cltern.

Religion und Tradition galten ils die der Bewahrung dienenden dächte, den Fortschritt hem-nend; heute herrschen ganz anlere Mächte: Wissenschaft, Fortichritt, Wirtschaft und Parolen, sittliche Normen und eine Welt-inschauung sind nicht mehr „in".

Im Gegensatz zu der sich nur angsam verändernden Welt von ;estern leben die Alten (hier muß ingemerkt werden, daß „die Al-en" keineswegs abwertend geneint ist!) nun in einer ihnen vielfach fremd gewordenen Welt.

Der Sinn des Alters kann sicher nicht der sein, mit den Jungen in den Bereichen konkurrieren zu wollen, worin diese unbestreitbar überlegen sind (wie im Sport). Aber auch nicht, die Jungen für dumm und unerfahren zu halten und daher in allem Recht haben zu wollen. Der Sinn des Alters? Als Junger bin ich nicht berechtigt, eine Antwort darauf zu geben. Und ich könnte es auch gar nicht.

Man schiebt die Alten sehr gerne auf ein Abstellgleis, der alte Mensch wird isoliert, lebt in einem „komfortablen Ghetto". Alte Menschen, das Sterben und der Tod gehören aber zum Leben. Den Tod daher zu verdrängen (und mit ihm die alten Menschen), ist mehr als falsch.

Jeder Mensch, ob jung oder alt, braucht den lebhaften und wohltuenden Austausch der Gefühle, Gedanken und Erfahrungen, braucht die gegenseitige Ergänzung der Generationen. Wird die Sehkraft des alten Menschen schwächer, desto besser sollte er die Hintergründe des Lebens, seinen tieferen Sinn, das Bleibende erkennen. Er lernt klarer zu unterscheiden zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen, dem Flüchtigen und dem Bleibenden, dem Nebensächlichen und der Hauptursache.

Ist das dann die Weisheit des Alters? Für mich als jungen Menschen ist sie es. Sie zu erlangen, ist mein Wunsch. Und sie zu erlangen, das wünsche ich jedem, der alt wird oder ist.

„Die Jugend will halt stets mit Gewalt in allem glücklich sein, doch wird man nur ein bissei alt, da find man sich schon drein", singt Valentin im „Hobellied" aus Ferdinand Raimunds „Verschwender". Die alten und älter werdenden Menschen sollen ein stabilisierendes Element sein, das diese dynamische Gesellschaft zusammenhält (oder ist sie es vielleicht gar nicht?).

Die Alten sollen in einer Welt des Habens und Habenwollens das Sein, in einer Welt der Tat den Logos, in einer Welt des Raschen und Vergänglichen das Ewige, in einer Welt des Menschlichen auch das Göttliche darstellen.

Der Verfasser studiert Theaterwissenschaft, Publizistik und Jus in Wien.

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