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Diktatur als existentielle Erfahrung

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Die zeitgenössische tschechische Literatur wird heute vorwiegend von Autoren repräsentiert, die in ihrer Heimat nicht anerkannt werden. Von den „begnadigten“ wie Jiri Sotola und Bohumil Hrabal hat man in den letzten Jahren wenig gehört. Daß manche, die nie umstritten waren oder inzwischen herangewachsen sind, von westlichen Verlagen ignoriert werden, weil sie kein werbewirksames „politisches“ Schicksal haben, mag ungerecht sein. Sie werden jedenfalls im Westen nicht bekannt und in der CSSR kaum diskutiert. Die Autoren, die sich mit dem aktuellen Schicksal ihres Volkes auseinandersetzen, leben entweder zu Hause (und dürfen dort nicht publizieren) oder in der Emigration. Gemeinsam ist ihnen, daß sie von ihren eigentlichen Lesern getrennt sind. Aber auf ihrem dichterischen Niveau sind ihre Gedanken auch anderswo verständlich und nachfühlbar.

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Die zeitgenössische tschechische Literatur wird heute vorwiegend von Autoren repräsentiert, die in ihrer Heimat nicht anerkannt werden. Von den „begnadigten“ wie Jiri Sotola und Bohumil Hrabal hat man in den letzten Jahren wenig gehört. Daß manche, die nie umstritten waren oder inzwischen herangewachsen sind, von westlichen Verlagen ignoriert werden, weil sie kein werbewirksames „politisches“ Schicksal haben, mag ungerecht sein. Sie werden jedenfalls im Westen nicht bekannt und in der CSSR kaum diskutiert. Die Autoren, die sich mit dem aktuellen Schicksal ihres Volkes auseinandersetzen, leben entweder zu Hause (und dürfen dort nicht publizieren) oder in der Emigration. Gemeinsam ist ihnen, daß sie von ihren eigentlichen Lesern getrennt sind. Aber auf ihrem dichterischen Niveau sind ihre Gedanken auch anderswo verständlich und nachfühlbar.

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Vergleicht man einige Neuerscheinungen, so fällt das Gefühl der Verantwortlichkeit für das eigene Volk bei allen auf. Dabei ist es unerheblich, ob der Autor, oder die Hauptperson seines Buches, noch im Landė lebt oder emigriert ist. Die Verantwortung kann man nicht an der Grenze abschütteln, sie bleibt sogar, wenn man nicht nur von einem Regime, einer Bürokratie gepeinigt, sondern auch von Feunden, Menschen der nächsten Umgebung enttäuscht wurde. Wer ist schon ein Held, wenn er unter Druck steht, wenn das Leben oder doch die wirtschaftliche Existenz bedroht ist? Ivan Klima stellt das beklemmend dar. Sein Roman „Machtspiele“ besteht eigentlich aus drei Erzählungen, die durch eine gemeinsame Hauptfigur lose verknüpft sind. Die Geschworenen, die in einem Schauprozeß ein längst beschlossenes Urteil sanktionieren sollen, verlieren alle Skrupel, als sie erfahren, daß der Angeklagte bereits hingerichtet ist. Mathias, der sich dennoch widersetzt, hilft dem Gericht wider Willen zu einer glaubhafteren Optik: Einstimmigkeit war gar nicht erwünscht. Derselbe Mathias sieht sich von aller Welt verlassen, als er plötzlich auf offener Straße von einem Scharfschützen verfolgt wird. Als die Passanten merken, daß der Schütze es nur auf den einen abgesehen hat, kommen sie bald zu der Überzeugung, daß es schon einen Grunji haben wird, daß er ohne Verfahren exekutiert werden soll. Nicht Macht und Willkür sind die ärgsten Feinde der Freiheit, sondern die Feigheit, die sie gewähren läßt, die nicht einmal erprobt, ob die Macht in die Schranken zu weisen wäre.

Ähnliche Erfahrungen hat ja auch Jakub gemacht, eine Hauptfigur in Milan Kunderas „Abschiedswalzer“ (FURCHE 49/1977). Auch er hat erlebt, wie die verschiedenen Umsturz-W

n immer wieder andere ins Gefängnis brachten, wie die Peiniger von gestern ihren einstigen Opfern im Gefängnis in die Hände fielen und nun von diesen drangsaliert wurden. Und als er wider Willen und eher zufällig einen Mord begeht, geschieht es nur, damit er erkennt, daß auch er in die große Gemeinschaft der Mörder gehört. Diese Einsicht und die jetzt erst ganz bewußte Liebe zur Heimat, zu seinem Volk, zu aller Schönheit und allen Abgründen, nimmt er mit in die Emigration.

Ganz ähnlich fühlt der Architekt

Mikulas Svoboda in Alexandr Kli- ments „Langeweile in Böhmen“. Obwohl er sich zum Bleiben entschlossen hat. Er läßt die geliebte Frau ausreisen und bleibt zurück. Zwar hat er keine Chance, als Architekt auch nur annähernd zu verwirklichen, was er sich einmal vorgestellt hat, und dadurch seinem Volk zu nützen. Er lebt doppelgleisig, hat sich „neben dem bürgerlichen Leben eine eigene, parallele Existenz geschaffen“. Er bleibt, weil er glaubt, daß ihn sein Volk trotz allem braucht.

Für Ota Filip hat sich das Problem relativ einfach gelöst: er mußte sich nicht entscheiden, er wurde ausgewiesen. Ob es damit zusammenhängt, daß er in seinem neuen Buch „Maiandacht“ die Geschichte eines Taugenichts, der gleichwohl in die provinziellen Mühlen der Politik gerät, eher unbefangen mit Personal aus seiner Erinnerung ausstattet, mit erlebten und erdachten grotesken Situationen? Zwar gibt es auch bei ihm sehr ernste Untertöne, zwar ist unverkennbar, daß er liebt, worüber er sich lustig macht, aber er steckt doch nicht mehr so tief und schicksalhaft in der Problematik seiner Heimat wie in seinen früheren Romanen.

MACHTSPIELE. Roman von Ivan Klima. Reich-Verlag, Luzern 1977,188 Seiten, öS 185,-.

DIE LANGEWEILE IN BÖHMEN. Roman von Alexandr Kliment. Reich-Verlag, Luzern 1977, 237 Seiten, öS 223,30

MAIANDACHT. Roman von Ota Filip. S. Fischer Verlag, Frankfurt!M. 1977, 207 Seiten, öS 200,20.

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