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Ein Aufbruch lym Nächsten

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Nach langem Uberlegen entschied ich mich vor vielen Jahren, meine christliche Uberzeugung in die Tat umzusetzen. Ich begann in Altersheime zu gehen, zu jenen, die lange Jahre bereits hinter sich hatten und deren Zeit leer geworden war. Ein bißchen Abwechslung und Fröhlichkeit wollte ich den alten Menschen bringen.

Ich begeisterte junge Menschen zum Mittun. Und miteinander freuten wir uns an der Freude aus belebten Augen, zitternden Worten, schüchternen Händen. Es entstanden glückliche Freundschaftsbeziehungen zwischen jung und alt, erfüllt mit herzlicher Zuwendung.

Und es hat lange gedauert, bis mir etwas auffiel: Unseren bescheidenen Kräften gemäß betreuten wir wohl diese alten Menschen; doch wir taten nichts, damit sie nun ihrerseits über sich selbst hinauswuchsen. Wenn es aber Sinn des Lebens ist, Christus kennenzulernen, wenn es Aufgabe des Lebens ist, einander zu lieben - dann gilt das doch für alle. Auch der betagte Mensch hat dann noch eine Aufgabe.

In Pflegeheimen machte ich eine wesentliche Erfahrung: Die Chance der Isolation im Alter ist es, gegebenenfalls nachzulernen, daß nicht das eigene Ich die letzte Erfüllung bringt. Allzu oft nur hat man sich selbst verwirklicht im Bereich der Familie, bei Freizeitaktivitäten, im Beruf. Meist aber sind diese Werte nun nicht mehr aktuell. Letztlich bleibt dann nur die Wahl zwischen Resignation oder Aufbruch zum Nächsten.

Viele öffentliche und private Institutionen betreuen heute aufopfernd mit viel Geld und persönlichem Einsatz die alten Menschen. Das Angebot kennt Seniorenreisen, Gymnastikkurse, Kaffee-Nachmittage, Ergotherapie ...

Das alles ist wertvoll und wichtig. Doch es ist nur Halbheit. Es kann am Wesentlichen vorbeigehen. Allzuoft nur ist nämlich schon wieder der Mensch lediglich auf sich selbst konzentriert, schon wieder nur er selbst Mittelpunkt aller Bestrebungen.

Er wird zwangsbeschäftigt. Oder er betätigt sich selbst der Ablenkung willen. Es wird meist übersehen, daß er sich eigentlich lebensgeprägt nach letzter Klarheit sehnt, und eine end-gültige Antwort will.

Heute weiß ich, daß sie nur lauten kann: „öffne auch Du Dich dem Mitmenschen!”

„Bastle, nicht um die Zeit totzuschlagen oder stolz etwas herzeigen zu können. Das ist zwar auch recht; doch jetzt verkaufe die Dinger und widme den Erlös anderen, etwa der Parteikasse oder der Mission!”

„Belege ruhig mit 60 auf der Universität .Deutsch', doch nicht nur um Deinen Grips zu trainieren, sondern um mit neuem Wissen jetzt Gastarbeiterkinder zu unterrichten!”

Oder wie ein Gelähmter im Bett mir einmal sagte: „Jetzt läute ich einfach nicht mehr sofort nach der sowieso überbeanspruchten Schwester, wenn ich etwas gerne hätte...”

Selbst schwerste Krankheit und Behinderung können dann eine sinnvolle Basis sein, wenn der Mitmensch, der andere, Zielrichtung meiner Gedanken, Gefühle und Handlungen wird.

Es ist mir Bestätigung und schönstes Geschenk zugleich, dieses neue Glück der Partner manchmal beobachten zu dürfen. Es gilt nur, sie dafür zu gewinnen. Erfahrungsgemäß braucht es die Übertragung eigener Herzlichkeit. Aber auch den Mut, es anderen zuzumuten. Christ ist man nicht, Christ wird man. Den Menschen zu-liebe. Dank Christus.

Der Autor ist Absolvent der Wirtschafts-Universität und verkauft halbtags Stahlrohre. Gleichzeitig ist er Obmann der „Gruppe C”, in deren Rahmen bereits hundert Jugendliche wöchentlich Altersheime besuchen.

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