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Ein Halleluja für die Stadt!

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Jedes Wochenende das gleiche Bild: Wie auf Kommando verlassen die Städter in großen Scharen die Stadt. Endlose Blechkolonnen wälzen sich träge über Ausfallsstraßen. Autos Voller erholungbedürftiger Menschen - Erwartung, Hoffnung, eingehüllt in Benzindämpfen, unterwegs zur Zweitwohnung auf dem Lande, der Idylle des Schrebergartens, zur Fortsetzung des Hausbauens im Grünen: Flucht vor der Stadt, als Freizeitbedürfnis verharmlost.

Liegt ein Fluch auf der Stadt? Nach Aussage des Alten Testamentes ist ja die erste Stadt vom Brudermörder Kain erbaut worden. Trägt damit das Antlitz der Stadt auch das Kainsmal?

Das Mörderische der Großstadt wäre also somit vom Anfang an gegeben, sozusagen stiftungsbedingt. Und der Unterschied zu früheren Zeiten bestünde dann in erster Linie darin, daß die Lebensfeindlichkeit der Städte so offenbar geworden ist, daß sie nicht mehr verschleiert oder wegdiskutiert werden kann.

Aber war in alten Zeiten die Anklage gegen die Stadt hauptsächlich Inhalt prophetischer Kritik und so Erkenntnis einer Minorität, so

ist die Verurteilung der Stadt heute längst allgemeine Meinung geworden.

Sicher, theoretisch gesehen ist die Unwirtlichkeit der Ballungszentren immer noch eher ein Thema für den kleinen Kreis der Fachleute, vom Soziologen bis zum Städteplaner, aber praktisch haben die Städter eben bereits die Konsequenzen gezogen. Wann immer es geht, und sei es nur für wenige Stunden, verlassen sie das Lärm- und Abgasbabel: Ein Exodus aus den Zwängen des Alltags hinaus auf das gelobte Land.

Hier beginnt das eigentliche Leben voller Sonnenschein und Sauerstoff, voller Blumen, Sport und Hobbies.

Der Hölle der Straßen entflohen, drückt man sich erleichtert an den Busen der Natur und ahnt ergriffen in Wald und Wiese, Berg und Schnee den Schöpfer.

Die Situation ist im Grunde grotesk, ja verhängnisvoll. Menschen fliehen, ja verleugnen letztlich ihr eigenes Werk, das Gebilde aus Menschenhand. Die Selbstverständlichkeit, mit der das geschieht, ist erschreckend. Denn die Stadtflucht ist kein Ausweg, den zur Rückkehr Verurteilten wird spätestens am Montag schmerzlich bewußt, daß es kein Entrinnen gibt.

Hier tut Buße not, also ein generelles Umdenken. Bi-

blisch gesagt, gilt es, Gott in der Stadt wiederzufinden. Es sollte einem zu denken geben, daß die neutestamentli-che Prophetie das Reich Gottes auf Erden als eine Stadt beschreibt, als himmlisches Jerusalem! Und man wird wohl hinzufügen dürfen, genausogut als himmlisches Wien, Graz, Innsbruck oder Salzburg!

Das mag unter den heutigen Umständen noch verrückt klingen, aber christlicher Glaube hat ja immer bedeutet: nicht nur etwas zu sehen, was noch nicht da ist, sondern das, woran man glaubt, sichtbar zu machen. Konkret heißt das dann, die

Stadt wieder menschlich zu gestalten. Das wird sicher nicht gehen, ohne einige bisher heilige Kühe zu schlachten. Und das wird eine bußfertige Gesinnung in Architektur-, Verkehrs-, und Wirtschaftsplanung erfordern.

Die Kirchen können hier viel beitragen, daß die Bekehrung zur Stadt als Gottes Schöpfung gelingt. Vor allem, indem sie nicht bei der Verachtung der Stadt mitspielen, sich resignierend mit der Stadtflucht abfinden und aus falschverstandener Menschenfreundlichkeit zum Beispiel ihre Gottesdienste am Samstag oder Sonntagabend ansetzen. Sicher genügt nicht träges Beharren auf der Gottesdienstzeit am Sonntagvormittag, aber die Städter von der sonntäglichen Fluchtpflicht zu befreien, wäre ein wichtiger Programmpunkt für eine umfassende Aktion zum Schutz des Lebens.

Dann werden vielleicht eines Tages volle Kirchen nicht nur ein Zeichen neu erwachter Frömmigkeit sein, sondern ein Beweis dafür, daß das Leben in der Stadt wieder lebenswert geworden ist.

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