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„Ein Leben wie im Sklavenlager

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Vier Jahre „Gulag“ für den Wunsch nach weltweiter Abrüstung: Alexander Schatrawka hat die „Friedenssehnsucht“ der Sowjets am eigenen Leib zu spüren bekommen.

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Vier Jahre „Gulag“ für den Wunsch nach weltweiter Abrüstung: Alexander Schatrawka hat die „Friedenssehnsucht“ der Sowjets am eigenen Leib zu spüren bekommen.

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Für den sowjetischen Geheimdienst sind sie nur „Rowdys“ und „bezahlte Agenten des Westens“. In Wirklichkeit setzen sie sich für Frieden und Abrüstung ein. Sie, das sind nichtstaatliche, illegale Friedensaktivisten in der Sowjetunion.

Alexander Schatrawka, 35 Jahre alt und seit Jahren wegen seiner Friedensarbeit verfolgt, wurde nun nach vier Jahren Lagerhaft ausgebürgert und samt Familie über Österreich in die USA abgeschoben. Er ist einer, der in der Sowjetunion dafür bestraft wurde, weil er das gemacht hat, was angeblich auch oberstes sowjetisches Staatsziel ist: Friedensarbeit.

Am 14. Juli 1982 ist Schatrawka verhaftet worden, weil er Unterschriften für den Gründungsappell der Moskauer Trust-Gruppe (Gruppe für Vertrauen zwischen UdSSR und USA) gesammelt hatte.

In einem Gespräch mit der FURCHE in Wien, kurz vor seiner Weiterreise nach New York, schildert Schatrawka — der übrigens im Gefängnis mehrmals schwer mißhandelt wurde - die Beweggründe für seine Friedensaktion.

Alexander Schatrawka: ,£>ie Menschen in der UdSSR leben in einem riesigen Isolationskerker, sie sind über die Vorgänge in der Welt nur mangelhaft informiert. Ich wollte mit meiner Friedensaktion dem Sowjetbürger vor Augen führen, daß die Regierung lügt, wenn sie beteuert, sie trete für Frieden und Abrüstung ein. Die massive Aufrüstung der Sowjetunion ist der beste Beweis dafür.“

Haben die Menschen in der UdSSR die Trust-Arbeit gebilligt?

Schatrawka: ,Jn der UdSSR ist der Mangel an Information ein akutes Problem. Im Westen der Sowjetunion, wo die Menschen westliche Rundfunkstationen hören können, ist die Bereitschaft, etwas für Frieden und A brüstung zu tun, größer als etwa in entlegenen Gebieten. Als wir unsere Unterschriftenaktion dem Mann auf der Straße präsentierten, glaubten einige, es handle sich um eine offizielle Friedensproklamation mit Billigung der Sowjetregierung. Andere verstanden, worum es ging und sprachen uns Mut zu. Die Parteimitglieder dagegen beschimpften uns als Staatsfevnde-und bezahlte Spione des Auslandes.“

Unmittelbar nach der Verhaftung versuchte man, Schatrawka kriminelle Delikte anzulasten. Er soll, laut KGB, unweit seines Arbeitsplatzes einen Mann ermordet haben. Als die Beweise nicht ein-

mal für eine Anklage ausreichten, legte der Staatsanwalt „neue, bislang unbekannte Tatsachen“ auf den Tisch: Schatrawka habe in einem Kaufhaus 700 Rubel gestohlen und sei außerdem ohne gültigen Reisepaß in der Sowjetunion unterwegs gewesen.

Schatrawka: ,£)aß ich dann schließlich doch als Agent des Westens verurteilt worden bin, verdanke ich einem psychiatrischen Gutachten des JSerpskij Institutes' (Institut für Psychiatrie der Moskauer Universität) aus dem Jahre 1974. Die Diagnose von damals lautete: Der Patient leide an Zwangsvorstellungen, er wolle in den Westen ausreisen. Meine Friedensaktion wurde dann vom Gericht als das Ergebnis einer Wahnvorstellung abgetan. Strafe: drei Jahre schwerer Kerker“

Gibt es Mitglieder der Moskauer Friedensgruppe, die derzeit eine Haftstrafe verbüßen?

SchatrawkayEinlSjdTirigerBub namens Grigorij Smirnow verbüßt derzeit eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen Wehrdienstverweigerung. Bekannt ist auch der Fall der Nina Kowaljo-wa, die ebenfalls inhaftiert wurde.

, Am 4. Juni 1982 ist in der Wohnung des Kunstmalers Sergej Ba-towrin die „Gruppe für Vertrauen zwischen UdSSR und USA“ gegründet worden. Friedensarbeit ist in der Sowjetunion legal und bereits in der Verfassung verankert. Die Trust-Gruppe hat daher einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen und Vorschlägen, die größtenteils von einfachen Sowjetbürgern gekommen sind, vorgelegt. Jetzt aber bezeichnete die Partei die Aktivitäten der Trust-Gruppe als antisowjetische Propaganda.

Hat sich die Lage für die Gruppe unter Michail Gorbatschow verbessert?

•' Schatrawka: „Nein, die Wirtschaftsreform Michail Gorbatschows geht Hand in Hand mit einer verstärkten Einflußnahme der Partei auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Das Land gleicht immer mehr einem Sklavenlager.“

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