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Ein verwirrendes Bild

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Es ist ein Verdienst des Herold-Verlages, Franz Goldners Geschichte der österreichischen Emigration (1938 bis 1945) nunmehr in zweiter, wesentlich erweiterter Auflage herausgebracht zu haben. Zahlreiche neue Unterlagen sind aufgetaucht, zahlreiche Fragen dennoch offengeblieben. Wenn der Autor dazu bemerkt, dieses Werk könne wohl nie ganz zu Ende geschrieben werden, ergibt sich diese Feststellung aus der Materie selbst.

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Es ist ein Verdienst des Herold-Verlages, Franz Goldners Geschichte der österreichischen Emigration (1938 bis 1945) nunmehr in zweiter, wesentlich erweiterter Auflage herausgebracht zu haben. Zahlreiche neue Unterlagen sind aufgetaucht, zahlreiche Fragen dennoch offengeblieben. Wenn der Autor dazu bemerkt, dieses Werk könne wohl nie ganz zu Ende geschrieben werden, ergibt sich diese Feststellung aus der Materie selbst.

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Für die österreichische Emigration der Jahre 1938 bis 1945 gilt nämlich -und dies zeigt sich immer deutlicher -, was Alexander Vodopivec vor Jahren dem Habsburger Otto nachsagte: sie sah eine Fülle einzelner Mosaikstein-chen (aus denen sie selber bestand), nicht aber den Zusammenhang des Bildes. Diesen Zusammenhang zu finden, gelang seltsamerweise den in der Heimat Zurückgebliebenen leichter und eher. Unter ihnen hatte Otto Habsburgs flammender Protest am Tage nach dem „Anschluß“ die erste Welle des Widerstands ausgelöst, eines Widerstands, der sich vom ersten bis zum letzten Tage in Ubereinstimmung mit der eigenen Galionsfigur wußte, während die nach Kriegsbeginn auftauchenden Revolutionären Sozialisten in der Heimat heroisch auf einsamem Posten für eine unabhängige österreichische Republik kämpften und damit im Gegensatz zur sozialdemokratischen Emigration standen, die den Anschluß bereits .als irreversibles Faktum akzeptiert hatte, ja sogar verteidigte.

Fast noch schwieriger war die Position des christlichsozialen Widerstands, der sich auf die Wahrung religiöser Prinzipien beschränken mußte, nachdem ihm klar geworden war, daß Pius XII. das ständestaatliche Konzept seines Vorgängers (das in Spanien und Portugal bestehen blieb) hatte fallenlassen und sich mit der demokratischen Vormacht, den USA, zu arrangieren begann. Was die habsburgi-schen Widerstandsgruppen im Hinterland, an der Front und in den Gefängnissen des Dritten Reiches jedoch ebenso übersahen wie die exilierten Habsburger selbst, war die Unausrottbarkeit des Zerrbildes, das sich in den westlichen Demokratien von Österreichs Vergangenheit geformt hatte und das dort bis zum heutigen Tage fortbesteht.

Dieser Haß gegen das alteuropäisch-reichische Konzept (für das der Name Habsburg stand), gegen ein Konzept also, das von den Folgen der amerikanischen und der französischen Revolution nur ephemer berührt wor-den^war, blieb hingegen der Vormacht des Sowjetischen Reiches, den Russen, begreiflicherweise fremd; ihnen ging es lediglich um einen Wechsel der politischen Vorzeichen. Die Folge war, daß ein Dialog zwischen dem habs-burgischen Widerstand und dem kommunistischen mitunter leichter vonstatten ging als ein Gespräch der einen oder der anderen mit den (damals keineswegs sehr profilierten) Demokraten.

Für die Habsburger in der Emigration, deren Kontakte mit der Heimat niemals abrissen, ergab sich aus der geschilderten Situation die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit jenen beiden Männern, deren Denken über die Klischees der amerikanischen und der französischen Revolution hinausgediehen war: mit Roosevelt und Churchill. Ihren Willen bis ins einzelne zu vollziehen, war oberstes Gebot auch dann, wenn es den eigenen Intentionen nicht ganz entsprach. Und hier liegt die Erklärung für so manches, ja für fast alles „Unerklärliche“, das dem Autor bei seinen Forschungen auffiel und das er getreulich, als Historiker, der er ist, vermerkt.

Den Todesstoß erhielt das habsbur-gische Konzept einer mitteleuropäischen Konföderation in Jalta, mit Stalins Sieg über den todkranken Roosevelt und den innenpoltisch bereits angeschlagenen Churchill. Die Kräfte, die in Österreich den Status von 1920 zu restaurieren trachteten, erhielten damit die Oberhand, mußten im Laufe der Ereignisse allerdings lernen, was die Konservativen aus eigener Erfahrung bereits wußten: daß nämlich eine Restauration immer nur der Form nach gelingt. Das besiegte Konzept erhält zwar Unrecht und erscheint dem Historiker mit der Zeit vollends unverständlich, das siegreiche Konzept hingegen bewegt sich in anderer Richtung als vorgesehen. Ein neues Kapitel beginnt.

DIE ÖSTERREICHISCHE EMIGRATION 1938 BIS 1945. Von Franz Goldner. Zweite, erweiterte Auflage. Verlag Herold, Wien 1977, 360 Seiten, öS 320,-.

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