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Eine Kirche in Flammen

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In der Anglikanischen Kirche schwelt ein schwerer Konflikt (vgl. John-Ryan-Karikatur, FURCHE 27/ 85). Es geht dabei nicht um Äußerlichkeiten, sondern um den Glauben selbst.

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In der Anglikanischen Kirche schwelt ein schwerer Konflikt (vgl. John-Ryan-Karikatur, FURCHE 27/ 85). Es geht dabei nicht um Äußerlichkeiten, sondern um den Glauben selbst.

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Erzbischof Robert Runcie von Canterbury, der Primas der Anglikanischen Kirche, rief Anfang Juli die scheidende Generalsynode auf, von zerstörenden Konflikten abzulassen, um sagen zu können: „Hier stehen wir, Glaube ist dies und nicht das.” Bischof Runcie spielte mit diesen Worten auf die größte doktrinäre Kontroverse an, welche derzeit die Hochkirche erschüttert und Gläubige wie Seelsorger bis hinauf zum hohen Episkopat Partei für oder gegen den Bischof von Durham ergreifen läßt.

Am 6. Juli 1984 wurde der Theologieprofessor David Jenkins in der Kathedrale von York als Bischof inthronisiert. Drei Tage später brannte das Münster, durch einen Blitz entzündet, lichterloh. Nicht wenige sahen in der Feuersbrunst ein Zeichen von Gottes Zorn, ein Wunder. Jenkins hat die höchste Weihe erhalten, obwohl er ernste Zweifel an zwei Glaubenssätzen, der jungfräulichen Empfängnis Mariens und der physischen Auferstehung Christi, öffentlich geäußert hatte. Einige nannten ihn Häretiker und verließen die Kirche.

So hat der ehemalige Religionslehrer William Ledwich, Haupt der Kampagne gegen die Bischofsweihe von Jenkins, inzwischen unter Protest sein Priesteramt niedergelegt und der englischen Hochkirche den Rücken zugekehrt. Ein Jahr später hält Ledwich immer noch an der „Wun-der”-Erklärung fest, spricht von einem „Symbol dafür, daß am 6. Juli letzten Jahres eine monströse Mißachtung der christlichen Wahrheit begangen worden ist”. Viele Kleriker und die Hälfte der Bischöfe teilten die von Jenkins kundgetane Auslegung. „Eine Krise, die schon eine gewisse Zeitspanne schwelt, ist plötzlich explodiert. Es ist eine Krise des Glaubens.”

Der Initiator der Glaubenskrise Bischof Jenkins hat Anhang gefunden und Gegnerschaft hervorgerufen. Stephen Davis, Pfarrer in Durham, hielt seinen Oberhirten zunächst für einen Irrlehrer, denkt heute jedoch anders: „Nachdem ich ihn getroffen habe, bin ich von seiner echt-christlichen Religion überzeugt.” Der Bischof von Chester, Michael Boug-hen, stellt die ehrliche Absicht des Durhamer Bischofs nicht in Frage, wohl aber dessen Ansichten: „Jenkins hat die Debatte angeregt, und das ist gut für den christlichen Glauben. Doch er sollte fest auf dem Boden des Credos stehen. Meiner Meinung nach hat er den Glauben der Kirche tief zerstört und viele Menschen in ihrem Innersten verletzt. Ich als bischöf Iieher Mitbruder bin auch verletzt.”

Doch Jenkins verficht weiterhin mit Entschiedenheit seinen Standpunkt: „Ich versuche zu sagen, was wesentlich und notwendig ist und was nicht. Und es ist mir klar, daß der Glaube an die jungfräuliche Geburt nicht essentiell zum Glauben an Jesus als Sohn Gottes gehört. Ich glaube an die Gottesmutterschaft Mariens und an ihren Gehorsam zur Geburt Christi als Sohn Gottes.” Christus sei nach Jenkins als vollmenschliches Wesen „durch normale menschliche Methoden” und Gottes einzigartiges Einwirken in die Welt gekommen. Nicht wesentlich zum Glauben gehöre ferner die körperliche Auferstehung des Gekreuzigten, denn „kein Artikel, kein Credo, keine auf die Wahrheit Gottes hinweisende Formel kann wörtlich genommen werden”.

Der Widerspruch des Bischofs von St. Alban's, John Taylor, stützt sich auf das Glaubensbekenntnis und die Lehren der Kirche im wörtlichsten Sinne: „Ich bin überzeugt, daß Jesus in der im Credo ausgedrückten Weise von der Jungfrau Maria geboren wurde. Und das Grab war leer. Würden die Gebeine Christi in einem palästinensischen Grab gefunden, dann wäre die Christenheit am Ende und ich wäre sicherlich kein Kleriker der Kirche von England mehr.”

Robert MacDermott legte seine Position als Ehrenkanonikus der Kathedrale in Durham nieder, um damit gegen die Weihe eines Häretikers zu protestieren. Sollte das „Gewäsch” andauern, dann denkt er daran „zu gehen—um der intellektuellen Ehrlichkeit willen”. Im Juni stritten sich die Bischöfe drei Tage lang in Manchester hinter verschlossenen Türen über die Interpretation des Bischofs von Durham, „um sich letztlich zum Credo zu bekennen”, dazu, daß „Christus wahrhaft auferstanden ist”, daß „er Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria”.

Die Bischöfe sind um das Urteil über die Differenzen gebeten, doch dieses läßt peinigend lange auf sich warten. Derweüen fährt der Umstrittene fort, seine Auffassungen zu predigen, „eine Schlacht, die ich für die Kirche und in der Kirche kämpfe, um den Glauben freizusetzen”. Er ergreift für die streikenden Bergleute Partei, für die Arbeitslosen, attackiert die Sozial- und Wirtschaftspolitik der Regierung.

Flucht zu den Katholiken

Freisetzung des Glaubens? Auf seine Art vielleicht. Von Einheit aber ist die Hochkirche weiter denn je entfernt. Protestaktionen mit Anti-Jenkins-Plakaten sind so zahlreich wie die Sympathiekundgebungen. Eltern weigern sich, ihre Kinder von Jenkins taufen oder firmen zu lassen. Andere wiederum schicken ihren Nachwuchs von weit her in den Dom von Durham. Kleriker verlassen die Kirche und suchen Zuflucht im streng dogmatischen Katholizismus. Einstmals war es einer pro Jahr, jetzt aber ist es ein Priester in der Woche, der sich mit Gedanken trägt, den Weg von Kardinal John Newman (gestorben 1890) vom Anglikanismus zur katholischen Kirche zu gehen.

Die anglikanische Gemeinde ist angesichts der Krise mehr denn je verunsichert. Was soll der einzelne denken, wenn sogar die Hierarchie in tiefen Glaubensfragen nicht einer Meinung ist? Es überrascht kaum mehr, daß der Kirchenbesuch in den letzten eineinhalb Jahrzehnten um 20 Prozent heruntergegangen ist, daß heute schon mehr Katholiken als die an Zahl sechsmal so starken Angli-kaner in die Gotteshäuser gehen.

Der Bischofssitz Durham liefert ein gutes Beispiel: Unweit der Kathedrale ist eine Tischlerei in einen Andachtsraum umgestaltet worden. Eine sogenannte „freie” Kirche ohne Religionsdiener fand dort ihr Domizil. Uber Mitglieder braucht sich die singesfreudige und meditierende Gemeinschaft nicht zu beklagen. Die neuen rekrutieren sich vornehmlich aus enttäuschten ehemaligen Angehörigen der Staatskirche.

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