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Emporkömmling und Visionär

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Als vor fünfhundert Jahren Kö- nig Matthias Corvinus in Wien starb, schien ein ehrgeiziger Traum wie eine Seifenblase zerplatzt zu sein. Der König - aus ursprünglich kleinadeliger Familie - hatte in 32 jähriger Regierungszeit die Zwie- tracht in seinem Lande bezwungen und sich bei den mächtigen Magna- ten Respekt verschafft. Er hatte einen großen Teil der böhmischen Länder erobert, dem Kaiser das Kernland Österreich (etwa das heutige Niederösterreich) mit der Residenzstadt Wien weggenommen und schon nach der Kaiserkrone gegriffen. Eine starke mitteleuro- päische Macht wollte er schaffen, die sich erfolgreich gegen die be- drohlich vordringenden Türken wehren könnte.

Matthias hatte aber auch einen neuen Aufschwung in das geistige und kulturelle Leben gebracht. In seinen Residenzen Buda und Vise- grad blühte eine höfische Renais- sance-Kultur, während sich in weiten Teilen des Landes die Spät- gotik noch nicht voll entfaltet hat- te. In Preßburg wurde eine Univer- sität gegründet, Buda wählte er zum Standort einer Bibliothek, die ih- rem Umfang nach nur mit der des Vatikan verglichen werden konnte. Mehr als 2.000 Bände mit dem ge- sammelten Wissen der Zeit ließ sich der König von seinen humani- stisch gebildeten Mitarbeitern zu- sammenkaufen, über seinen Auf- trag wurden Werke abgeschrieben und prachtvoll illustriert. Und er selbst las sie auch. Sein großer Widersacher Kaiser Friedrich III., der ihn um drei Jahre überlebte und ihn letzten Endes überwinden sollte, besaß etwa sechzig Bücher, die sich mehr durch Zufall ange- sammelt hatten.

Matthias war ein Emporkömm- ling unter den Fürsten Europas, der Sohn des Feldherrn Johann Hun- yadi aus ungarisch-rumänischer Herkunft, der für eine hervorra- gende Ausbildung seines Sohnes sorgte. Keine der Herrscherfami- lien hatte Matthias Einheirat ge- währt, kein legitimer Thronfolger war zur Stelle, als er am 6. April 1490 starb. Der Traum vom großen mitteleuropäischen Reich unter der Stephanskrone war ebenso bald ausgeträumt wie die berühmte Bibliothek zerstoben und die Resi- denzen zerbrochen. 36 Jahre später hatten die Türken einen großen Teil Ungarns erobert, Österreich war längst wieder habsburgisch. Unga- rische Magnaten hatten Wladislaw Jagiello von Polen zum König ge- wählt, und dieser hatte sich mit den Habsburgern derart in einem Erb- vertrag verbunden, daß nach dem Tod des kinderlosen Ludwig II. Jagiello auf dem Schlachtfeld von Mohäcs die Stephanskrone erbte - für fast 400 Jahre.

Vom Reich des Matthias blieb nur ein Kranz von Legenden und Anek- doten, für Ungarn blieb das Corvi- nus-Reich das Goldene Zeitalter. Nun scheint es vor unseren Augen wiederzuerstehen. In Visegrad, vor allem aber auf dem Burgberg von Buda haben die Zerstörungen des letzten Krieges die Forscher auf den Plan gerufen. Bevor die Bauten aus Barock und Historismus wieder- aufgebaut wurden, untersuchte man die Fundamente aus dem Mit- telalter und der Renaissance. Vie- les wurde wiederentdeckt und ist heute im Keller des Barockschlos- ses zugänglich.

Im Schloß-Trakt aus dem 19. Jahrhundert ist jetzt die ungari- sche Nationalbibliothek unterge- bracht, in der auch die Codices mit dem Raben-Wappen des Matthias Corvinus aufbewahrt sind, die letz- ten, die erhalten blieben, und Hin- weise auf jene anderen, die sich in etwa 80 Bibliotheken Europas und Amerikas wiederfinden ließen.

Und der Traum vom mitteleuro- päischen Reich? Schon seit Kaiser Karl IV., der im 14. Jahrhundert in Prag residierte, gab es eine Folge von dynastischen Vereinigungen zwischen Böhmen und Polen, Un- garn und Polen, Böhmen, Polen und Ungarn, und Ungarn, Böhmen und Österreich, die schließlich in jene Donaumonarchie mündete, die 1526 auf dem Schlachtfeld von Mohäcs entstand, wuchs und wuchs, bis sie 1918 zerstört wurde. Und schon im 15. Jahrhundert waren nicht nur Überlegungen der Machtverteilung für einen Zusammenschluß aus- schlaggebend. Wirtschaftliche In- teressen und die Ähnlichkeit der Sozialstruktur begünstigten schon damals ein Miteinander, auch wenn Gegenkräfte sich als stark erwie- sen.

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