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Erinnerung an Lenau und den „Milch-Erzherzog”

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Das heilkräftige Thermalwassser von Mosonmagyarövär gehört zum bekanntesten Ungarns. Die Doppelstadt hat aber weit mehr als nur ein Heilbad zu bieten.

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Das heilkräftige Thermalwassser von Mosonmagyarövär gehört zum bekanntesten Ungarns. Die Doppelstadt hat aber weit mehr als nur ein Heilbad zu bieten.

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Das Gebiet von Mosonmagyarövär ist nachweislich fast 2000 Jahre ununterbrochen besiedelt: Im ersten Jahrhundert befand sich hier das römische Lager „Ad flexum”. Nach der Landnahme bildeten sich zwei Siedlungen aus, später als Ungarisch-Altenburg und Wieselburg bekannt, die nacheinander Komitatssitz wurden.

Am Fuße der Burg von Ungarisch-Altenburg entstand eine städtische Siedlung, die im 14. und 15. Jahrhundert eine wichtige Rolle im Rinderhandel mit Wien spielen sollte. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Stadt zu einem Wirtschafts- und Land wirtschaftszen-trum. Die heutige Struktur geht auf einen Beschluß des Jahres 1941 zurück, der Moson (Wieselburg) mit Magyarövär (Ungarisch-Altenburg) vereinigte.

Wer heute durch die Fußgängerzone der Altstadt von Mosonmagyarövär wandert, findet zahlreiche Zeichen der Vergangenheit, in der immer wieder zwei Namen auftauchen: Nikolaus Lenau und Erzherzog Friedrich Habsburg-Lothringen (von der Teschener Linie). Da finden wir an der Hausnummer 47 das Lenau-Haus, in dem der Dichter in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wohnte, das „Habsburg-Schloß” (Nr.

82), Stadtpalais von Erzherzog Friedrich, von dessen Balkon Lajos Kos-suth am 23. Oktober 1848 zur aufgebrachten Volksmenge gesprochen hatte.

Etwas weiter vom Stadtzentrum, man kommt an der Stadtpfarrkirche (ein Wandgemälde erinnert an die Stiftung durch die Königin von Ungarn, Maria Theresia) vorbei, und nach dem Überqueren des Leitha-Flusses erreicht man die Burg von Ungarisch-Altenburg, die von festungsartigen Bastionen umgeben ist. In dieser Burg wurde im Jahre 1818 durch königlichen Entschluß eine Hochschule für „Agrikultur und Landwirtschaft” gegründet, die bis heute noch besteht. Im Jahre 1822 hatte hier der junge Nikolaus Niembsch, bekannter unter seinem Dichternamen Nikolaus Lenau inskribiert.

Der „verhinderte” Agronom

Es war ein verzweifelter Versuch, seine Schwermut lenken zu lernen, um einen bürgerlichen Beruf ergreifen zu können, wie ihn sich sein Großvater Ritter Niembsch von Strehlenau vorstellte. Nikolaus Lenau litt seit seiner Kindheit an Schwermut, die ihn zeitlebens nicht verließ.

Ursprünglich wollte er in Poszony (Preßburg/Bratislava) ungarisches Recht studieren, beschloß aber nach mehreren Aussprachen mit dem greisen Großvater, einem „Oberst und Kommandanten der Monturs-Oeko-nomie-Hauptkommission zu Stocker-au in Ruhestand”, einem Freund nach Ungarisch-Altenburg zu folgen um Landwirtschaft an der Ackerbau-

Hochschule zu studieren. Die Mutter folgte mit seinen Geschwistern nach und quartierte sich im benachbarten Wieselburg ein, wo „Nickis” Stiefvater - sie hatte sich in zweiter Ehe mit dem Arzt Dr. Vogel verheiratet - eine Praxis eröffnet hatte. Lenau kümmerte sich wenig um die Landwirtschaft, durchschweifte zu Pferde meilenweit die Auen, Äcker und Felder „und heimste nur Stimmungsbilder für seine späteren Dichtungen ein” - so sein Biograph Otto Gans Gensichen.

War es dem einen Geburtsland, so war es dem anderen Vaterland: Im Jahre 1856 wurde dem Bruder Erzherzog Albrechts ein Sohn geboren. Erzherzog Albrecht, ein Sohn Erzherzog Karls aus der Teschener Linie, Sieger von Aspern, hatte auf Grund eines Fideikommisses seines Vaters riesige Besitzungen in Teschen,

Ungarisch-Altenburg und Bellye (Südungam) geerbt, die nun selbst einen Erben suchten, da seine Ehe kinderlos geblieben war. Die Wahl Albrechts fiel auf den Sohn seines Bruders, Friedrich. Das Erbe war kein geringes: die erwähnten Besitztümer galten innerhalb des Reiches als moderne, technisch gut ausgerüstete und fortschrittliche Mustergüter, die bestens mit Nebenbetrieben, wie Zuckerfabriken, Brennereien oder Molkereien ausgerüstet waren. Die Friedrichschen Molkereien aus Ungarisch-Altenburg versorgten beispielsweise gegen Ende des vorigen Jahrhunderts Wien beinahe zu 100 Prozent. Erzherzog Friedrich wurde daher im Volksmunde auch der „Milch-Erzherzog” genannt.

Friedrich war miltärisch gesehen gegen Ende der Monarchie nach dem

Kaiser der zweite Mann im Staate: Er hatte alle Waffengattungen kennengelernt - als Ausgleich mußte er im Zivilleben den Tischlerberuf erlernen - mit 26 Jahren war er Generalmajor und von 1889 bis 1905 als Feldmar-schalleutnant Chef des 5. Armeekorps in Preßburg. Am 25. Juli 1914 übernahm Friedrich das Oberkommando der Balkan-Armee, nach sechs Tagen wurde er Oberkommandierender der gesamten k. u. k. Streitkräfte.

Alles war verloren...

Nach dem Tode von Kaiser Franz Joseph war Friedrichs militärische Laufbahn bald zu Ende und er zog als „Agronom” nach Ungarn zurück. Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, mit St. Germaine und Trianon, verlor er fast sein gesamtes Vermögen.

Friedrich zog sich nach Ungarisch-Altenburg zurück. Bald nach seinem 80. Geburtstag starb er Ende 1936 und wurde in der Krypta der Pfarrkirche von Magyarövä mit allen militärischen Ehren beigesetzt. Ein freundlicher Pfarrer macht es heute wiederum möglich, die schlichte Gruft des „Milch-Erzherzogs” und seiner Gattin Isabella zu besuchen.

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