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Digital In Arbeit

Ferne Freunde

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An potentielle Leser denke ich schreibend unter anderem nicht, weil ich zuerst einmal darauf vertraue, daß ■ das, was mir so nahe geht oder mif so merkwürdig ist, daß ich darüber schreiben muß, auch andere, sofern es adäquat transformiert worden ist, bewegen wird, im Idealfall als ein: „Ähnliches hat mich auch schon angerührt, ich habe es nur nicht so ernst genommen/ ich hätte es nur nicht so wiedergeben können!" denn ich vertraue darauf, daß scheinbar subjektive Beobachtungen und Erfahrungen eines Künstlers, auch seine Ängste, Spiegelbilder, Zerrbilder oder Traumbilder Beobachtungen, Erfahrungen und Gefühle von vielen anderen sind -

aber auch für den Fall, daß manches von dem, was mich bewegt, doch allzu privat (geblieben) ist und daher niemanden anderen angeht, ist vorgesorgt durch Freunde, die als meine idealen Leser, mir wohlgesinnt, aber auch empfindlich gegenüber meinen Schwächen, das Manuskript als erste lesen; erst recht durch den Lektor, der als professioneller Leser auch etwas wie ein unwilliger Leser sein wird, hyperempfindlich gegenüber jeder nicht als Notwendigkeit, sondern als ,seht-her,-was-ich-kann!'-Übermut verdächtigten/entlarvten Schwierigkeit.

An potentielle Leser denke ich schreibend aber auch deshalb nicht, weil ich jedes fürs erste genügend bearbeitete Manuskript nach mich von ihm distanzierenden Monaten Ruhezeit als etwas fast Fremdes als mein erster Leser lese -

mit besonderer Irritation erfüllt es mich, wenn ich mich in einem langen, allzu kunstvoll (oder doch nicht kunstvoll genug) gebauten Satzgefüge verirre und, um seine syntaktische Korrektheit zu überprüfen, an seinen Anfang zurückkehren muß - in einer cholerischen Anwandlung unterbreche ich den allzu verzweigten Fluß oder erleichtere mir die Lektüre durch Wegmarkierungen wie Kennzeichnung von Einschüben und Nebenarmen durch Klammern oder Gedankenstrichumgrenzung, diese und jene Eigenheit meines Stils erscheint mir plötzlich als manieristisch, ich eliminiere sie oder versuche sie zu dämpfen, allzu ausführliche Überlegungen machen mich, mich manchem Leser verbrüdernd, ungeduldig: da und dort empfinde ich die Verfolgung eines Gedankens durch alle ihm innewohnenden Möglichkeiten als allzu mechanisch oder terroristisch, manches soll besser nicht ausgeführt und in anderen Möglichkeiten bloß mitenthalten bleiben, wir Leser werden ja auch noch etwas dazudenken dürfen, und so zwinge ich mich, von etwa fünf Variationen zu einem Einfall zwei zu streichen (welche, entscheiden dann manchmal meine Freunde)

eine der Rücksichten, die ich auf den Leser nehme, mag manchmal einem Text einen Verlust zufügen: der Uber-aeugung, daß in jeder Zeile der in ihr verdichtete Einfall oder Gedanke zu überprüfen sein müsse, also aus Sorge vor einem Urteil wie: .schön, aber unverständlich!' fallen dann in Prosatexten manchmal (allzu) lyrische Fügungen zum Opfer.

ich könnte auch anders sagen: seit ich Leser habe (von denen sich manche als ratlos zu erkennen gegeben haben), halte ich nichts mehr von meiner früheren Rechtfertigung: „wer es sich selber schwer macht, darf es auch anderen schwer machen!", ich mache es heutzutage lieber mir so schwer wie nötig und den Lesern so leicht wie möglich, mit welchem Entgegenkommen ich mich auf Thomas Mann berufen darf.

aber wirklich denke ich an meine Leser erst dann, wenn ich einen Band Erzählungen zusammenstelle: die erste Erzählung soll die sein, welche am ehesten mit meiner Art Literatur befreunden kann, auf jeden schwierigeren Text soll zur Belohnung und Erholung ein leichterer folgen, ja und Texte mit essayistischen Zügen sortiere ich aus, irgendwann wird ja auch ein Band Essays kommen.

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