6918006-1981_34_01.jpg
Digital In Arbeit

,Finis Poloniae‘ ist nie das letzte Wort

Werbung
Werbung
Werbung

Im März 1794 brach unter der Füh­rung von Thaddäus Košciuszko ein Aufstand polnischer Patrioten aus, die das unerträgliche Joch der zweiten Teilung Polens abschütteln wollten. In der Schlacht bei Maciejowice blieb der Feldherr Košciuszko auf der Flucht in einem Sandhügel stecken, wo ihm die Kosaken das Pferd unter dem Leib wegschossen und einen Kopfschuß beibrachten. Auf vier Stangen ins Lager geschleppt, rief er das prophetische Wort „Finis regni Poloniae“ aus.

So wenigstens registrierte es die „Südpreußische Zeitung“ vom 25. Oktober 1794. Die Polen aber, die vom „Ende des Polenreiches“ nichts wissen wollten, antworteten mit den Worten des von Joseph Wybicki ge­dichteten Dombrowski-Marsches: „Noch ist Polen nicht verloren...“

An dieses bewegende Geschehen fühlt man sich immer wieder erinnert, wenn man den Verlauf der nunmehr ein Jahr alten Liberalisierungsbewe­gung verfolgt: Voll Hoffnung, voll Sorge, in Euphorie und Bangen.

Immer wieder mußte man fürchten, daß das kühne Experiment der „Soli­darität“ auf unüberwindliche Schwie­rigkeiten gestoßen, dem unausweich­lich scheinenden gewaltsamen Ende ausgeliefert sei.7 Immer wieder wurde der Beobachter vom unerschütterli- " ctrcir^iatrben der Polen an ihre besse­re Zukunft beschämt. Noch ist Polen nicht verloren.

Aber wieder einmal droht Gefahr. Im ersten Anlauf haben die Männer um Lech Walesa das kommunistische Dogma von der Einheit von Partei und Gewerkschaft, von KP und Ar­beiterbewegung gestürzt.

Jetzt haben die Männer der „Soli­darität“ ihren Rammbock an einem zweiten Pfeiler angesetzt: den Mas­senmedien. Es gibt keinen kommuni­stischen, es gibt überhaupt keinen to­talitären Staat, der sich das Monopol der Herrschenden auf Presse, Radio und Fernsehen rauben ließe. Was Wa­lesa den „freien Zugang der Gewerk­schaftsbewegung zu den Massenme­dien“ nennt, ist eine Zertrümmerung dieses Monopols: bisher unvorstell­bar.

Wird es den tapferen Polen gelin­gen, auch diesen Bann zu brechen? Man kann sich vorstellen, mit wel­chem Ingrimm die Machthaber im Kreml die weitere Entwicklung ver­folgen. Sie wissen, daß Freiheit der Massenkommunikation eines Tages zum Zusammenbruch ihres Imperi­ums führen muß: nicht nur in Polen.

Vor genau 20 Jahren konnten sie das kommunistische Gewaltregime in Ostdeutschland nur noch retten, in­dem sie durch den Bau einer Mord­mauer quer durch Berlin ihre Bürger von allen Fluchtwegen abzuschneiden suchten.

Vor genau 14 Jahren besorgten Panzer der Warschauer Pakt-Mächte das blutige Geschäft der Regimestabi­lisierung in der Tschechoslowakei. Und trotzdem haben die Polen einen neuen Ausbruch aus der Gewaltherr­schaft ertrotzt.

Längst hätten die Sowjets gewalt­sam eingegriffen, wären sie nicht in ei­ner vielfach komplizierten Notlage. Daß in Polen noch immer nichts „pas­siert“ ist, ist - auch - eine ungleich positivere Folge der neuen US-Politik der Stärke als P.restigeluftkämpfe im Mittelmeer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung