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Fortdauer im Untergang

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Herbert Eisenreich hat in der FURCHE vom 7. Jänner beklagt, daß im Jahr der vielen Jubiläen 1976 eines wichtigen Ereignisses nicht gedacht worden war, des Unterganges des Weströmischen Reichs und seiner Auswirkungen auf die ganze europäische Geschichte. Hans Huebmer führt die dort angerissenen Gedanken kurz weiter.

Als am 28. August 476 der Schatten- kaiser Romulus Augustulus in Ravenna vor dem Anführer der Rugier Odoakar, der auf seinem Durchzug durch das heutige Österreich den Segen des Heiligen Severin empfangen hatte, kapitulierte, ging ein Reich, das vom Norden Englands bis zur arabischen Wüste, von Marokko bis zu den Karpathen reichte, für alle Zeiten dahin. Die Einheit des westlichen und südlichen Europa mit dem Norden Afrikas und dem Vorderen Orient, die das Mittelländische Meer zu einem Binnensee werden ließ, war zerbrochen.

Putsche von Söldnerführem hatten sich im sterbenden Römischen Reiche vielfach ereignet; neu war, daß der Römische Senat ein Schreiben an den byzantinischen Kaiser richtete, wonach das westliche Kaisertum förmlich aufgehoben sei. Odoaker begnügte sich mit dem germanischen Königstitel, und Konstantinopel erkannte ihn als „Patricius von Rom” an. Seines Triumphes wurde Odoaker nur für kurze Zeit froh; der nächste germanische Okkupator Italiens, Theo- derich, ließ ihn 493 umbringen.

Rom lebte in einer geistigen Macht weiter, die vom Rom der Cäsaren drei Jahrhunderte lang vergeblich bekämpft worden war; der katholischen Kirche. Konstantin kam zu spät; welche Stärke etwa ein christliches römisches Weltreich zur Zeit Trajans oder Hadrians bedeutet hätte, kann man sich nur mehr mit Wehmut vorstellen. Es war Europas Glück, daß die Kirche nicht in die römische Konkursmasse einbezogen wurde; dies hätte die dauernde Barbarisierung unseres Erdteils bedeutet. Die Kirche war aber auch nicht die lachende Erbin, als die sie manchmal bezeichnet wurde.

Ihren Fortbestand verdankt sie zwei Faktoren, die vom Staat und seinem Schicksal unabhängig waren, dem Papsttum und dem Mönchstum. Der Papst wurde zu einem von den weltlichen Reichen unabhängigen Souverän und die Mönche wahrten eine innerkirchliche Demokratie, die immer wieder frisches Blut zuführte. So wurde die katholische Kirche autokra- tisch und demokratisch zugleich, zu einem unabhängigen Machtfaktor, der den Wechsel der Herrschaftsformen überstand - und wie wir fest glauben - auch in Zukunft überstehen wird.

Die Vorstellung vom überstaatlichen Römischen Reich, von Karl dem Großen im Jahre 800 neu belebt, lebte bis 1806, irgendwie im österreichischen Staatsgedanken bis 1918 fort. Vom Traume der Einheit Europas blieb die Krone in der Wiener Schatzkammer.

Der große Kriegsgewinner am Zusammenbruch des Römischen Reiches wurde zwei Jahrhunderte später der Islam, der den Osten und Süden des Mittelmeeres von Europa losriß und dieses selber zum Graben zwischen zwei Welten machte.

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