6845095-1976_15_13.jpg
Digital In Arbeit

Geduldiges Wort

Werbung
Werbung
Werbung

Als ich am Sonntag in die Kirche ging, freute ich mich darauf, das Preislied vom „Heiligen Kreuz“ nun wieder singen zu hören. Eines der wenigen Lieder, die fast alle mitsingen. Im voraus erwog ich die scheinbare Absurdität der ersten Zeilen: „Heiliges Kreuz, sei hochverehret, hartes Ruhbett meines Herrn...“ Welche Kühnheit, das Kreuz als „Ruhbett“ zu bezeichnen, wie ist hier in einer Zeile das unsagbare Elend dessen zusammengefaßt, der „nicht hatte, wohin er sein Haupt legen konnte“ und nun, am Ende, zur Ohnmacht verdammt, „ruhen“ muß in unerträglicher Qual! Was dem ersten Blick fast an Verspottung zu grenzen scheint, erschließt sich dem Nach-Denken als heilsamer, beabsichtigter Schock. Wehleidig darf man allerdings nicht sein: wer Nazarenerbilder liebt, ist wohl auch zu zartbesaitet, um solche Verkürzung zu ertragen.

Offenbar auch der (die?) Überarbeiter der alten Lieder. Denn die Zeile ist getilgt, nun heißt es, „Baum, an dem der Heiland hing, wo sich seine Lieb bewähret, Lieb, die bis zum Tode ging“. Nichts ist daran auszusetzen, außer, daß Trivialität an die Stelle der religiösen Betroffenheit, des künstlerisch unmittelbaren Ausdrucks getreten ist.

Analog hat im nächsten Lied „Laß mich deine Leiden singen“ weder des „Mitleids Opfer“ noch, natürlich, die Bezeichnung „unverschuld'tes Gotteslamm“ stehenbleiben dürfen, beides ist durch inhaltlich oder sprachlich „richtigere“, nur leider ganz abgegriffene Wendungen ersetzt, und schließlich soll „deines Todes Pein Trost in unserem (statt meinem) Tode sein“.

Nichts gegen die Gemeinschaft, das „Wir“ der Glaubenden! Der Herr selbst hat es uns im „Vaterunser“ vorgebetet. Nur: den einen Vater haben wir wirklich gemeinsam. Aber gibt es „unseren“ Tod? Höchstens im Fall der Katastrophe — und selbst dann kommt der Moment der absoluten Verlassenheit des einzelnen.

Und in diesem, meinem Tod möge mich der Gedanke an Seine Verlassenheit trösten — weil ich weiß, daß sie nicht das Ende war!

Wenn ein Pfarrer alte oder naive, unbeholfene Kreuzwegbilder in seiner Kirche durch andere ersetzt, ist das sein gutes Recht. Jedoch die Gepflogenheit des Übermalens alter Fresken oder Bilder halten wir für barbarisch, und die Denkmalschützer würden ihn rasch daran hindern: Das Wort der Vorangegangenen aber bleibt ganz ungeschützt in unserer Kirche, die im WORT ihren Ursprung hat?

Die beiden Passionslieder sind nicht die einzigen, die durch nur scheinbar geringfügige Änderungen im eigentlichen Sinne nichtssagend geworden sind!

Die Gemeinde hat mit betroffenem Verstummen reagiert.

Sie wird sich gewöhnen? — Leider!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung