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Gefährliche Lebensbedingungen als Zeichen

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Anlaß für den folgenden Beitrag ist der Kommentar von Franz Gansrigier, „Bittere Pille für Zölibatäre" (FURCHE 33/1992). Ohne den Anspruch zu erheben, das Thema Zölibat umfassend darzustellen, möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen einzigen Aspekt lenken: Den Sinn der Ehelosigkeit und einige Koordinaten, die aus dem Glauben gewonnen werden können und innerhalb derer das Gespräch geführt werden sollte.

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Anlaß für den folgenden Beitrag ist der Kommentar von Franz Gansrigier, „Bittere Pille für Zölibatäre" (FURCHE 33/1992). Ohne den Anspruch zu erheben, das Thema Zölibat umfassend darzustellen, möchte ich die Aufmerksamkeit auf einen einzigen Aspekt lenken: Den Sinn der Ehelosigkeit und einige Koordinaten, die aus dem Glauben gewonnen werden können und innerhalb derer das Gespräch geführt werden sollte.

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Thema ist im folgenden die aus Gründen des Glaubens gewählte Ehelosigkeit ganz allgemein, nicht der Zölibat im Sinne einer festen Verbindung von Ehelosigkeit und priesterlichem Dienst - eine Unterscheidung, die bei Franz Gansrigier nicht sehr deutlich ist. Und die Frage der Ehelosigkeit ist umso dringlicher, als ja auch die Ordensleute nicht übertrieben mit Kandidatinnen und Kandidaten gesegnet sind. Also: Worum geht es eigentlich in der Ehelosigkeit?

Eine erste Erinnerung: Vor etlichen Jahren ein Gespräch in einer Runde, junge Leute, unter anderem eine Frau, deren Bruder Priester ist, und mehrere Priester. Das Gespräch über die Ehelosigkeit des Priesters führt zur Frage, welchen Sinn sie eigentlich habe. Fast ausschließlich wird die größere Verfügbarkeit genannt, er habe mehr und uneingeschränkter Zeit für die Menschen, für die er seinen Dienst tun soll. Einer der Priester beginnt persönlich und zeugnishaft von seiner Entscheidung für die Ehelosigkeit zu sprechen: er sehe diese Lebensform als eine, nicht die einzige, aber doch seine ganz persönliche Antwort auf die Entdeckung, was uns eigent-

lich mit Christus geschenkt ist; als eine Lebensgestalt, die nicht nur dem Unverständnis begegnet, sondern auch interessierter Nachdenklichkeit und so zum Zeichen wird für die Größe Gottes und „seiner Sache"; als eine Antwort auf die Tatsache, daß Christus selbst ehelos gelebt hat und die Ehelosigkeit als einen Weg der Nachfolge aufgezeigt hat - und das trotz der auch religiösen Hochschätzung der Ehe in seinem jüdischen Volk...

Es war nicht nur das Bekenntnishafte, das zu gespannter Aufmerksamkeit geführt hat. „So hat mir die Ehelosigkeit noch nie jemand erklärt", sagte die Frau, deren Bruder Priester ist. In meiner Erfahrung kein Einzelfall.

Natürlich kann man sagen, das sei eine sehr respektable, aber eben auch eine ganz persönliche Entscheidung. Dagegen sei nichts einzuwenden; das Problem sei eben das Zölibatsgesetz... aber darum geht es mir in meinem Beitrag nicht. Hier möchte ich nur auf zwei Fragen hinweisen: Wie groß ist eigentlich das religiöse Wissen oder eben Nichtwissen im Blick auf den Sinn der Ehelosigkeit? Und: Was bedeutet das im Blick auf Umfragen zu diesem Thema („Der Wert des Zölibats ist... längst nicht mehr einsichtig" - faßt Franz Gansrigier Umfragen zusammen)?

Ehelosigkeit um Gottes willen -muß es die Christen und die Kirche nicht sehr nachdenklich stimmen, wenn diese Lebensform auch in der Kirche eher kritisch-distanziert betrachtet wird und nicht als eine Gabe Gottes, um die man beten und über die man sich freuen kann? Müßte uns nicht ein Umblick unter den Religionen beschämen, die diese Lebensform in der einen oder anderen Weise kennen? Kann man das wirklich als eine vom christlichen Glauben „überholte" Möglichkeit hinstellen, oder ist dort das Wissen deutlicher ausgeprägt, daß Gott, das Suchen nach ihm, ein Leben in seinem Dienst es einfach wert sind, daß Menschen auch (nicht nur, aber auch) auf diese Weise sich ihm weihen? Wie weit ist es Allgemeingut im Bewußtsein der Christen, was der bekannte Bibelwissenschaftler Gerhard Lohfink bereits 1981 in seinen „Zwölf Thesen zum Zölibat" vertreten hat: „Ohne eine... freiwillige charismatische Ehelosigkeit würde die Kirche in einem Defizit leben, die Nachfolge Jesu nicht voll verwirklichen und auf die Dauer schweren Schaden nehmen." Umfrageergebnisse können entmutigen; man wird sie nicht unter den Teppich kehren, wenn aber der Sinn der Ehelosigkeit als eine von Christus gewollte, also authentische Möglichkeit christlichen Lebens dargelegt wird, vermag er die besten Kräfte eines Menschen zu wecken.

Eine zweite Erinnerung: Einkehrtag mit einer Maturaklasse. Es ist Abend, wir sprechen und diskutieren „über Gott und die Welt". Mitten hinein eine Schülerin: „Ich glaube das sowieso keinem Priester, daß er wirklich ohne

intime Beziehung zu einer Frau lebt." Zwei Verdachtsmomente haben sich in dieser Wortmeldung (in ihrer ungerecht verallgemeinernden Art) Luft und Ausdruck verschafft: daß die ehelose Lebensform auf Dauer nicht ohne Schaden durchgehalten werden kann, und daß das Zölibatsgesetz zur Doppelmoral führe. Ohne die Verallgemeinerung wird man sagen können, daß beides möglich sein kann und auch ist.

Die richtigen Konsequenzen werden wohl lauten, daß man in den Priesterseminaren geistlich und psychologisch mit besonderer Sorgfalt und mit einer ehrlichen Unterscheidung der Geister auf diese Lebensform vorbereiten muß - Ehelosigkeit nicht als Beziehungslosigkeit, sondern als sen-

sible Beziehungsfähigkeit wird das Ziel heißen, und das braucht noch viel Mühe. Spätestens in unserem Jahrhundert hat sich (im Zusammenspiel humanwissenschaftlicher und theologischer Erkenntnisse) doch wohl endgültig herausgestellt, daß eine Förderung der Ehelosigkeit durch Abwertung der Sexualität nicht tragbar ist. Und wir wissen heute besser um manche psychologischen Zusammenhänge, die unter Umständen verhindern, daß die Entscheidung zur Ehelosigkeit (wie übrigens auch analog zur Ehe) wirklich eine reife Entscheidung ist und menschliche Entfaltung ermöglicht. Aber das ist nicht das Ende, sondern eine neue Chance für diese Lebensform.

Aber nicht nur bei den Seminarien muß das Anliegen deponiert werden, auch in der kirchlichen Öffentlichkeit: die christliche Ehelosigkeit braucht wie die christliche Ehe die Unterstützung durch Wertschätzung: „Ich freue mich, daß du diesen Weg gehst!" „Das ist für uns gut und wich-

tig, daß es Menschen gibt, die sich wie du für diesen Weg entscheiden." In einem Klima wechselseitiger Wertschätzung werden Ehelose und Verheiratete füreinander nicht zur Verunsicherung, sondern zur Bereicherung werden.

Das alles ist durchaus nicht nur ein Wunschtraum, sondern eine Erfahrung, die man durchaus an vielen Orten in unseren Diözesen machen kann. Und abseits sensationeller Enthüllungen wird man Menschen finden, die in ihrer Ehelosigkeit liebevolle und gereifte Persönlichkeiten geworden sind, deren Leben für sich und für die Kraft des Glaubens spricht.

Mit dem Priestermangel sind wir in der Frage der Ehelosigkeit auf jeden Fall in eine schwierige Situation geraten. Ich halte es für falsch, wenn man den Druck des Mangels gewissermaßen als Hebel benützen wollte, um die Ehelosigkeit der Priester aufzuheben: „Ihr werdet schon sehen, daß ihr diese Verpflichtung noch fallen lassen müßt.. ."-eine solche Haltung scheint mir politischer Strategie näher zu stehen als einer Frage nach dem Willen Gottes.

Aber um die Notwendigkeit zu unterstreichen, daß der ganze Fragenkreis wirklich mit den Augen des Glaubens angesehen wird, möchte ich noch einmal auf die Thesen von Gerhard Lohfink zurückkommen. Redlicherweise muß man darauf hinweisen, daß er die Koppelung von Priesteramt und Ehelosigkeit für „fragwürdig" hält und im Blick auf Mißstände als „mit schweren Nachteilen für die Wahrhaftigkeit der Kirche" verbunden ansieht; er hält die Aufhebung des Zölibats grundsätzlich für „wünschenswert". „Aber" - so sagt er, und darauf möchte ich hinweisen - „eben nur unter der Bedingung, daß die Lebensmöglichkeiten für das Charisma der freiwilligen Ehelosigkeit überall in der Kirche wachsen: positive Einstellung zur Ehelosigkeit; lebendige überschaubare Gemeinden; lebendige, am Evangelium orientierte Spiritualität. Aus den genannten Gründen halte ich es für falsch, ja geradezu für schädlich, lediglich für die Abschaffung des Zölibats einzutreten, wenn nicht gleichzeitig mit derselben Deutlichkeit und Dringlichkeit für die Pflege des Charismas der Ehelosigkeit gekämpft und um eine vertiefte Spiritualität gerungen wird." Eine solche geistlich vertiefte Kirche wird den rechten Weg in Sachen Priestermangel, im Blick auf die Ehelosigkeit und

- nicht zuletzt - eine Lösung für diejenigen Priester finden, die aus ihrem Amt ausgeschieden sind.

Gemessen an diesen vielen Aspekten, die der Berücksichtigung wert sind, erscheint mit der Kommentar „Bittere Pille für Zölibatäre" - der Autor möge mir das Urteil verzeihen

- als dem komplexen Anliegen nicht dienlich - trotz einiger Anläufe bleibt er - mitbedingt vielleicht durch den vorgegeben geringen Umfang seines Kommentares - zu sehr an äußeren Aspekten haften. Wirklich traurig die (subtile) Unterstellung, manchmal habe man den Eindruck, „daß die harten Kämpfer für den .freiwillig übernommenen Zwangszölibat' immer dann in Rage geraten, wenn ihr großes Opfer ... nicht genug gewürdigt" wird - so, mit diesem argumentum ad hominem erschlägt man jede Diskussion.

Ein (vielleicht etwas dramatisierendes) Wort von Roger Schutz, dem protestantischen Gründer von Taize, das ich in einem Buch von 1961 gefunden habe, vermittelt meines Erachtens mehr Perspektive: „Ehe und Ehelosigkeit sind beide christliche Absoluten. Um Christi willen werden beide zu Zeichen des Reiches Gottes, das kommt. Beide auferlegen gefährliche Lebensbedingungen, die man nur um Christi und des Evangeliums willen auf sich nehmen kann."

Der Autor, Dr. Bernhard Körner, Jahrgang 1949, ist seit 1985 Spiritual des Grazer Priestersemi-nares und hat sich im Fach Fundamentaltheologie habilitiert.

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