6841474-1975_46_14.jpg
Digital In Arbeit

Gegensätzliche Akzente

19451960198020002020

Es gibt Argumente, die das handlungslose oder handlungsarme Theater als zeitnah begründen. Sind also die Autoren einer straffen Handlungsführung in den Stücken nicht mehr willens? Oder nicht mehr fähig? Es gibt zu denken, daß Peter Turrini nun schon zum zweitenmal ein altes Handlungsstück übernimmt und ihm andere Aspekte gibt. Diesmal ist es Goldonis Komödie „Mirandolina“, die derzeit in seiner Bearbeitung im Volkstheater zu sehen ist.

19451960198020002020

Es gibt Argumente, die das handlungslose oder handlungsarme Theater als zeitnah begründen. Sind also die Autoren einer straffen Handlungsführung in den Stücken nicht mehr willens? Oder nicht mehr fähig? Es gibt zu denken, daß Peter Turrini nun schon zum zweitenmal ein altes Handlungsstück übernimmt und ihm andere Aspekte gibt. Diesmal ist es Goldonis Komödie „Mirandolina“, die derzeit in seiner Bearbeitung im Volkstheater zu sehen ist.

Werbung
Werbung
Werbung

Dieses liebenswürdige Spiel in zarten Rokokofarben, das zeigt, wie die junge Wirtin Mirandolina den weiberfeindlichen Cavaliere Ripafratta in sich verliebt macht und sich dann dem Kellner Fabrizio zuwendet, stellt diesen Cavaliere und zwei andere Aristokraten, die sie bedrängen, keineswegs aufdringlich, eher amüsant lächerlich dar. Bei Turrini wird dies zu Sozialkritik verschärft und dem Stück eine knappe Szene angehängt, in der Ripafratta als Kapitalist erklärt, das Wirtshaus gekauft zu haben, und schon verweist er Mirandolina in die Küche. Der nette Fabrizio ist hier ein munterer Gauner, der Abscheuliches aus seiner Vergangenheit bekennt und nun wegen „Söldnerdienstentzugs“ vom Cavaliere denunziert wird. Naturalistische Vergröberungen des Tons bis zum Ordinären hin.

Gibt es auf dem Theater fast nur noch Sozialkritik, so sehr sie berechtigt sein kann? Gibt es nur noch die Wendung ins Negative? Zugegeben, eine freundliche Weltsicht fällt heute schwer. Unter der Spielleitung des Jungregisseurs Rudolf Jusits werden die neuen scharfen Farben möglichst hervorgetrieben. Dolores Schmidinger ist eine liebenswürdige, vergnügte Mirandolina. Ernst Meister gibt dem Cavaliere hagestolze Steifheit, die in Begehrlichkeit explodiert. Herbert Propst wirkt als einer der beiden anderen Aristokraten feistbreitspurig, Viktor Gschmeidler als der andere hager-knochig. Das Gaunerhafte des Fabrizio serviert Manfred Jaksch südländisch beweglich. Brigitte Swoboda und Renate Olaro-vä zeichnen pointiert die beiden Schauspielerinnen, die sich auf des Fabrizio Geheiß als Aristokratinnen ausgeben. Der Bühnenbildner Rolf Langenfaß stellt asketisch Möbel und Türen vor schwarze Vorhänge.

Als sich Bertolt Brecht mit den Zielen der Kommunistischen Partei zu identifizieren begann, schrieb er aus dieser Sicht mehrere Bühnenwerke, darunter mit besonderem revolutionärem Impetus das Stück „Die Mutter“ nach Gorkis gleichnamigem Roman. Derzeitige Aufführung durch die „Komödianten“ im Künstlerhaus. An der Mutter eines jungen Arbeiters wird gezeigt, wie sich eine verschreckte, autoritätsgläubige Proletarierin in eine engagierte Revolutionärin verwandelt. Penetrantes Lehrstück für politisch kämpferisches Verhalten, wobei es um die unhaltbaren Zustände während der Zarenzeit geht, die Brecht über Gprkis Roman hinaus bis 1917 weiter vorführt. Aus Unterdrückten wurden aber Unterdrücker, gilt der Aufruf zur Revolution bei uns der Errichtung eines Terrorregimes? Doch gibt es Länder, für die dieses Stück insoweit stimmig wirkt, als Gewalt durch Gewalt gebrochen, aber nicht durch eine andere Diktatur ersetzt werden soll.

Von der Aufführung unter Brechts Regie im Jahr 1951 wurden an die fünfzig Photos veröffentlicht, Regisseur Conny Hannes Meyer hielt sich weitgehend an diese Inszene. Das Agitatorische kommt — aufpeitschende Musik von Hanns Eisler — mit Elan heraus. Ilse Scheer gibt der Mutter einen gleichbleibenden monotonen Ernst, stückgerechte Leistungen der zahlreichen sonstigen Darsteller. Gerhard Jax entwarf eine geeignete Bühnenbildlösung. *

In E. Th. A. Hoffmanns Erzählung „Das Bergwerk zu Falun“ verfällt der

Matrose Elis, der zum Bergmann wurde, den geheimnisvollen Reizen der unterirdischen Bergwelt so sehr, daß er noch am Tag seiner Hochzeit in den Schacht steigt, da aber verschüttet wird. Der 25jährige Hugo von Hofmannsthal ließ sich von dieser Erzählung zu einer Tragödie gleichen Titels anregen, die derzeit das Theater am Belvedere — verdienstvoll — zur österreichischen Erstaufführung brachte. Hier wird die Anziehungskraft des Berginnern auf Elis viel stärker als bei Hoffmann in der Gestalt der Bergkönigin personifiziert und zu seiner Liebe, die Anna, Tochter des Bergwerksbesitzers, gilt, in Gegensatz gesetzt.

Dieser Antagonismus erhält symbolische Bedeutung. Das lebendige Leben steht gegen die introvertierten Bereiche seelischer Vertiefung, das Zeitliche gegen Uberzeitliches. Indem Elis am Hochzeitstag der Bergkönigin und ihrem Zauberreich verfällt, wird dies zur lebenswidrigen Absage an die unmittelbare Umwelt. Für Hofmannsthal selbst war es der Zauberbereich der Dichtung, der ihn vom Leben abzuziehen schien, wie aus seinem fiktiven „Brief des Lord Chandos“ hervorgeht. Erschütternd der Zweifel an der Sphäre des Geistigen.

Unter der Regie von Irimbert Ganser und in deni Einheitsbühnenbild von Bert Bren stützt sich die Aufführung vor allem auf das Verbale. Werner Sehöggl ist ein in seiner Zerrissenheit intensiv wirkender Elis, EriJca Santner erweist als Anna glaubhaft inniges Gefühl.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung