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Geist und Mediwri

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A ls Zwölfjähriger habe ich einst ein Medium außer Gefecht gesetzt. Dies geschah in der Kriegszeit, in einem Deportierten-Dorf am Ural, während einer spiritistischen Seance.

Ich fand den Anblick einer Erwachsenen- Runde komisch, die sich um einen Holztisch ohne Nägel versammelte und wartete, daß er Nachrichten aus dem Jenseits tikkem würde, und ich-fing an, leise zu lachen. Worauf das Medium erklär-

te, der Geist sei beleidigt und die Seance beendet. Dies tat allen leid, denn wir hatten fast keine irdiscnen Medien, die uns mit Nachric ????ten versorgen konnten, nur ab und zu alte sowjetische Zeitungen, in denen nichts stand. An diese Episode erinnerte mich der große inteJ;'Ilationale Medienkongreß, d????r vor einiger Zeit in Ha'mburg stattfand, denn die Lehren, die man aus meinem Kindheitserlebnis ziehen kann, sind für alle Medien gültig - für Fernsehen,

Video, Funk, Film, Theater, Buch, Zeitungen und Zeitschriften. Es sind ja alles Medien, also Mittler, wie jene Dame weiland am Ural.

Die erste Lehre: Ein Medium kann nicht funktionieren, wenn man nicht daran glaubt; auch nicht, wenn der Geist beleidigt wird, beziehungsweise wenn kein Geist dahinter steckt.

Die zweite Lehre: Wenn es keine besseren Medien gibt, greift man zu denen, die man hat. Hätten wir damals im Dorf Fernsehen oder Radio gehabt, wäre die Seance überflüssig gewesen - man suchte ja mit Hilfe des Jenseits etwas über das Diesseits zu erfahren. Die hochkarätigen Fachleute

haben beim Medienkongreß wohl konkreter und auf einem viel höherem Niveau über die Zukunft der Medien geredet. Ich glaube jedoch, daß meine allgemeine Schlußfolgerung, die Medien seien als Mittler für den Geist da, ihre Gültigkeit behält, da viele Mediengewaltige bei der geringsten Erscheinung des Geistes sofort Gespenster sehen.

Von allen Problemen, die beim Kongr????ß zur Diskussion standen, interessierte mich am wenigsten die technische Seite. Erstens verstehe ich nichts davon, zweitens gehöre ich zur Generation derer, die in ihrer Jugend Jules Verne gelesen haben und glauben, daß man sich des technischen Fortschritts nicht erwehren kann. Napoleon lehnte das U-Boot ab - dann wurde es eben neun Jahrzehnte später in Betrieb genommen.

Als Nutzer - ich bin ja nicht nur Konsument der Medien, sondern verdiene da auch meine Brötchen - war ich gespannt, zu welchem ·Ergebnis die Fachleute in jener Frage kommen, ob und inwiefern die elektronischen Medien die gooruckten verdrängen. Um das Buch habe ich keine Angst. Je mehr Fernsehprogramme und Videos es geben wird, umso schneller werden sie das Publikum sättigen und es dem Buch zuführen. Schließlich hat auch die Fotografie die Malerei keineswegs verdrängt. Auch die Presse muß nicht bange sein: Man kann sich während des 'Frühstücks hinter keinem Fernseher so vor dem Anblick seiner besseren Hälfte verstecken, wie hinter einer Zeitung.

Es bleibt noch eine Frage: Hat die ganze Menschheit genug Geist für all die sich dauernd vermehrenden Medien? Auch dies ist keine Frage, denn die meisten Medien kommen mit sehr wenig Geist aus.

Man kann es ihnen nicht einmal verdenken: Sie sind Medien, also - nur Mittler. Sie vermi,t.teln das, wovon sie glauben, daß der Konsument es haben will.

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