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Genuß und Ratio

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Genuß plus Ratio gleich Mozart — geht die Formel auf? Sie erfüllt sich alljährlich in der Salzburger Mozart-Woche, die schon dadurch etwas von dem Geiste dessen vermittelt, dem sie gilt. Die Internationale Stiftung Mozarteum, das Studio Salzburg des Österreichischen Rundfunks und das Musikwissenschaftliche Institut der Universität arbeiten zusammen. Wissenschaft und Praxis finden sich in nahezu fröhlichem Einvernehmen; Forschungsergebnisse, Editionsrecherchen gewinnen Lebendigkeit als beglückender Klang. „Festivals“ müssen also nicht langweilig sein, nicht sinnentleert das Altbekannte wiederkäuen; die Mozart-Woche machte deutlich, welche erregenden, neuartigen Momente einem Werk innewohnen, das alle zu kennen meinen.

Da war an Mozarts Geburtstag jenes Ereignis, das sich schlicht „Liederabend“ nannte und nichts Geringeres unternahm als eine Darstellung des gesammelten Mozartschen Liedwerks nach der neuen Mozart-Ausgabe. Im Gefolge von Einstein wird heute noch vielfach behauptet (auch im Musikunterricht), Mozart habe sich dieser Gattung mit halbem Herzen zugewandt, von dem berühmten „Veilchen“ abgesehen. Die Schweizer Sopranistin Edith Mathis, in völligem Einvernehmen mit Erik Werbo als Begleiter und werkkundigem Anwalt der Sache, hob die nachlässig kolportierten Fehlurteile aus den Angeln. Mozarts Lieder sind keineswegs noch unerreichter Schubert, ebensowenig beschränken sie sich aufs wienerisch Singspielhafte: sie sind Ausweis einer kunstvollen Volkstümlichkeit, ein bis in unsere Zeit nicht honorierter Versuch, mit Anspruch verständlich zu sein. Wir müssen unsere Ohren auf das „Einfache“ erst wieder einstellen! Edith Mathis hat die Gabe, eben diesen Ton erfüllter Einfachheit zu treffen — nichts klang mühevoll, nichts wurde im Ausdruck übertrieben; anderseits waren alle Rokokozärte-leien beseitigt. Nach Peter Schreiers Absage stand sie einen Tag vor dem Konzert allein vor der Riesenaufgabe: deren Bewältigung war die Summe von musikalischer Intelligenz, Wagemut, Engagement und Können.

Die Mozart-Woche demonstrierte an einer großen Zahl vermeintlicher Nebenwerke den Rang einer „Unterhaltungsmusik“, den wir nur staunend wahrnehmen können.

Höhepunkt im Sinn der künstlerischen Repräsentation waren zwei Konzerte der Wiener Philharmoniker und zwei weitere — ebenfalls sinfonisch getönte — des Moskauer Kammerorchesters. Ein Vergleich verbietet sich; zwischen beiden Auffassungen liegen Welten. Die „Wiener“ wurden von Silvio Varviso dirigiert, der zu Mozart noch ein etwas ungeklärtes, auf Oberflächenpolitur bedachtes Verhältnis hat, und von Leopold Hager, der, hochbegabt, sich auf einen permanenten „attacca“-Stil verlegt hat. Die „Moskauer“, hochrangige Solisten sämtlich, schienen von ihrem ständigen Dirigenten Rudolf Barschai in das Korsett einer befremdlich formalen Musizierpraxis gezwängt. Das rasch sich einstellende Witzwort „Mozartowsky“ traf dennoch nicht: vernehmbar wurden wohl eher die Schwächen eines Perfektionsstrebens im Gefolge offiziellen Kulturaustausches.

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