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Die säkulare Welt fordert die Religionen heraus

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Vom 1. bis zum 4. Februar trafen einander in Jerusalem 500 Verantwortliche aus dem Judentum und aus dem Christentum zum Gespräch über soziale und wissenschaftliche Herausforderungen der heutigen Zeit. Gastgebend waren „BAMOT", ein jüdisches Zentrum für interdisziplinäres wissenschaftliches Gespräch, sowie „TANTUR", em christlich-ökumenisches Institut.

Zur Begrüßung stellte sich Avra-ham Fried-Frizzy, der Direktor von BAMOT, als überzeugter Atheist vor, richtete aber gleichzeitig einen flammenden Appell an die Vertreter der beiden großen Religionen, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen.

Ich hatte den Eindruck, daß hier die „säkulare Welt" fast vorwurfsvoll die „religiöse" Weh zur Verantwortung rief. Zwei Gedanken verfolgen mich seither:

1. Die „Weh ohne Gott" hat angesichts der heutigen Probleme viel von ihrem einstigen Hochmut auf-Įjegeben. Die Wissenschaft allein cann ihr keine genügenden Antworten mehr geben, das Vertrauen auf das „rein Humane" wurde gründlich erschüttert. Viele wenden sich der Esoterik oder Philosophien zu, um hinter dem Sichtbaren größere Zusammenhänge zu entdecken. Fried-Frizzy scheint typisch für jene zu sein, die zurecht die großen Religionen um Antwort fragen und so (gemeinsam?) in die Verantwortung für das Heute rufen.

2. Die großen Religionen gehen oft sträflich an den welterschütternden Problemen vorbei. Wir Christen etwa sind besorgt um unseren schwindenden Einfluß, wollen noch „Reservate" in der pluralen Gesellschaft sichern und vergeuden viel Kraft im innerkirchlichen und interkonfessionellen Streit.

Nehmen wir aber Stellung zu Fragen der Zeit, dann meist -L 1 in lehrhaftem Monolog, mit fertigen Antworten aus der Tradition, so, als ob wir längst alle Geheimnisse der Schöpfung enträtselt hätten.

Wir scheinen nicht wahrzunehmen, daß Gottes Schöpfung sich noch weiterentfaltet und Gott das unbegreifliche Risiko einging, dies mit uns als Partnern in höchster Mitverantwortung zu tun.

Der Kongreß in Jerusalem erschien durch die ungeheuer große Zahl der Teilnehmer und der Themen überfordert. Was für mich blieb, war die Erkenntnis: die „gottlose" Welt fordert die Religionen heraus, die „Welt" nicht zu belehren oder zu verurteilen, sondern sie mitzugestalten.

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