Herzdurchdachte Zärtlichkeit
Die evangelische Pfarrerin Ines Charlotte Knoll über Empathie.
Die evangelische Pfarrerin Ines Charlotte Knoll über Empathie.
Ein halber Mantel. In einer Augenblicksgeste ist die Weltwürde wieder hergestellt für einen Menschen, an dem die Dysfunktionalität der Empathie plötzlich aussetzt. Und Gott geschieht. Das ist mein Lieblingssatz für eine gelebte und lebendige Theologie. Und Gott geschieht in Martin von Tours, auf seinem Ross sitzend alles wahrnehmend; er, der den Kriegsdienst verweigern muss aus einer innersten Anrufung, weiß, sein Schwert für ein Glück zu verwenden. Damit ein Mensch nicht friert im November oder in irgendeiner kalten Zeit, wird der Stoff durchschnitten für ein Ganzes. Für eine Heimat von Menschen. Hier. Ein Elysium spielt sich ab in der Szene von dieser herzdurchdachten Zärtlichkeit. „Ein kleines wunder“, schrieb Dorothee Sölle, wissend, wie groß es ist und was es aus der Menschheit macht, wenn sie der Geste vertraut und sie dies tut.
„die hoffnung kennt tausendundeine geschichte / gegen gewalt“. So viel wissen die Friedensforschenden, der Möglichkeiten viele, sich gegen den nächsten Kriegsakt zu entscheiden und den Knopf für den Frieden zu finden. „In unsren Tiefträumen / weint die Erde / Blut“, weiß Rose Ausländer. Eine totalitäre Ideologie macht sich breit in dem Ausmaß, das wir ihr zugestanden haben. Ihr eigentliches Ziel, meint Hannah Ahrendt, sei die „Transformation der menschlichen Natur selbst“. Auf dem Spiel stehe wirklich das Wesen des Menschen. „Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden, / woher das Sanfte und das Gute kommt, / weiß es auch heute nicht“, sagte Gottfried Benn. Aber ich weiß eine Rechnung: Der die Hälfte zurückbehält, lebt das große Ganze aus dem Wunder, durch das Gott je und jetzt geschieht und Gott durch uns – mit Hut und Schal und Mantel und mit Rosen und mit Brot und mit Licht und einem Denken und Glauben und Leben aus Wärme.
Die Autorin ist evangelische Pfarrerin i. R.
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