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Glotzkiste als Braut

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Es gibt viele Männer, die der Glotzkiste mehr Liebe entgegenbringen als einer Frau, mehr Zeit mit ihr verbringen, sich von ihr mehr sagen und mehr gefallen lassen. Das Fernsehen ist eine ganz passable Ehefrau. Es verlangt unsere ganze Aufmerksamkeit, versucht uns dauernd zu erziehen, gibt uns Ratschläge, weiß besser als wir selbst, was wir brauchen, und redet ununterbrochen. Es hat dazu noch den Vorteil, daß man es abschalten kann.

Das Femsehen ist wie die Ehe. Immer funktioniert es bei den anderen besser als bei uns zu Hause; man schimpft auf seine Langeweile, aber man gewöhnt sich und kann es nicht lassen; wenn man ein paarmal versucht hat, sich von dem alten Femseher zu trennen, um sich einen neuen, jüngeren Typ zu verschaffen, stellt man bald fest, daß der Reiz des Neuen rasch vergeht und der Inhalt immer gleichbleibt.

Das Fernsehen ist wie eine emanzipierte Frau. Es ist sehr gebildet, kann über Soziologie plaudern, über Psychoanalyse, über alte Bilder und neue Bücher. Salonrevolutionäres Gerede gehört zu einer Imagepflege. Wenn es aber um Beziehungen zwischen Menschen geht, bleibt es sentimental, konventionell, altmodisch, kitschig. Alle Versuche, moderne Gefühle und Beziehungen zu zeigen, sind gewollt, flach, krampfhaft, unglaubwürdig -nur eine deklarative Manifestation.

Warum sollte man also einen Fernsehapparat nicht heiraten können?

Man kann dagegen einwenden, daß ein Femseher nicht jeden Zweck der Ehe erfüllen kann. Der Zweck der Ehe ist aber auch sonst nicht klar. Es gab zum Beispiel in der schwedischen Zeitung „Dagbladet" diese Anzeige: „Chronischer Rheumatiker, 45, gutmütig, geduldig, hilfsbereit, humorvoll, sucht weiblichen Rheuma-Fan passenden Alters für Dauerbekannt-schaft, eventuell Ehe. Über 500 sehr lustige Rheuma-Witze vorhanden, wir werden uns nicht langweilen."

Der Verfasser dieser Anzeige sah offenbar in der Ehe ein Mittel gegen Langeweile. Ich kenne das Programm des schwedischen Femsehens nicht, nehme jedoch an, daß auch dort die Unterhaltung nicht viel schlechter als die Rheuma-Witze sein wird. Wie gesagt, der Femseher hat viele Voraussetzungen, zum Gegenstand der geistigen, platonischen Liebe zu werden.

Nun, die Frage, ob die Ehe eine Institution für sexuelle Beziehungen ist, ist juristisch umstritten. In der Praxis führt sie eher zur Beschränkung des Sexuallebens. Wie das Femsehen. John Cumming-Bruce, Richter am Londoner High Court, verweigerte einem dreiundvierzigj ährigen Mann, dessen Frau sich vor der ehelichen Liebe drückte, mit folgender

Begründung die Scheidung: „Das Unglück des Ehemannes rechtfertigt keine Scheidung. Es gibt in England kein Gesetz, das eine Frau zwingt, ihren Mann zu lieben."

Eine italienische Richterin in Monra war zwar anderer Meinung - sie verurteilte einen Mann namens Edelino Fregatti zu einem Monat Gefängnis mit Bewährung, weil er seit einiger Zeit auf Verführungsversuche seiner Frau nur mit abschätzigem Grunzen reagierte. Die Richterin mußte jedoch zu juristischen Tricks greifen und das Urteil gegen den Anti-Sünder mit der „Verweigerung der Unterstützung für die Familie" begründen, denn die Strafbestimmung wegen „Verweigerung der ehelichen Pflichten" gilt in Italien nur für Frauen. Aber auch dieser umstrittene Paragraph spricht nur von „Pflichten" und nicht von Liebe.

Vor einiger Zeit wurde über die amerikanische Anthropologin und Journalistin Wyn Sargent berichtet, die einen Eingeborenen-Häuptling im Dschungel West-Irians heiratete, um „das Sexual verhalten dieses noch wie in der Steinzeit lebenden Stammes zu erforschen". Für sie hatte also die Ehe den Zweck, ihre Wißbegierde zu befriedigen (Neugier ist übrigens ein nicht sehr seltenes Motiv der Eheschließung). Für Leute, die nicht gerade nach Indonesien ziehen können, um ihre Forschungen anzustellen, kann auch das Fernsehen eine ausgiebige Quelle des Wissens sein.

Es gibt also gute Gründe dafür, ergebene Fernsehfans mit dem Apparat zu verehelichen. Man kann sich dabei eine wünschenswerte Folge ausrechnen: Mit der Zeit werden selbst die leidenschaftlichsten von ihnen die geehelichte Kiste immer mehr vernachlässigen, ja sogar auf jeden ihrer Verführungsversuche mit abschätzigem Grunzen reagieren.

Um diese eheliche Erfahrung reicher, werden sie vielleicht dann zur Abwechslung wieder Frauen heiraten.

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