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Hilfe für die Müll-Kopten

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Die Abfallbeseitigung wird in Kairo von den koptischen Christen besorgt. Sie leben zwischen Bergen von Müll unter unwürdigen Umständen. Mit viel Elan versucht der „Engel von Kairo“ ihnen zu helfen.

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Die Abfallbeseitigung wird in Kairo von den koptischen Christen besorgt. Sie leben zwischen Bergen von Müll unter unwürdigen Umständen. Mit viel Elan versucht der „Engel von Kairo“ ihnen zu helfen.

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Kairo hat für das leidige Müll- problem eine relativ angemessene Lösung gefunden, wenn auch auf orientalische Art. Die fehlende städtische Müllabfuhr wurde von etwa 40.000 wilden Siedlern, den sogenannten Zabaline, übernommen, die am südlichen Stadtrand im Moqqatam-Gebirge inmitten des Abfalles leben und jeden Mor-

gen den Unrat der Zehn-Millio- nen-Metropole aufsammeln.

Diese überwiegend koptischen Christen, zu denen sich in jüngster Zeit auch einige muselmanische „Kollegen“ gesellt haben, beseitigen nicht nur den Abfall aus dem Weichbild der Stadt, sie führen ihn auch der Wiederverwertung zu.

Bis zu 10.000 Kubikmeter Mist werden täglich in Moqqatam verarbeitet. Dort werden Papier, Glas, Plastik und tierische Abfälle aussortiert. F rühaufsteher kön

nen die „Müllkopten“ um fünf Uhr früh beobachten, wenn sie den Mist auf ihre hochbordigen, von drei oder vier Eseln gezogenen Wägelchen aufladen.

Die Zabaline versorgen außerdem die nicht-islamische Bevölkerung mit Schweinefleisch. Inmitten der Abfallhaufen gibt es in Moqqatam rund 2000 Schweinemästereien.

Für ihre Sammeltätigkeit werden die Müllsammler von der Stadtverwaltung entlohnt und der Erlös nach orientalischer Sitte unter die Sippen und Familien entsprechend der ihnen zugewiesenen Tätigkeit verteilt.

Trotz ihrer relativen materiellen Wohlhabenheit fristen die Zabaline ein armseliges, menschenunwürdiges Dasein. Von den Stadtbewohnern verachtet, von der Regierung praktisch im Stich gelassen, hausen sie unter unvorstellbaren sanitären Bedingungen wie menschliche Aasgeier inmitten des Unrates in dürftigen Blechverschlägen, die sie oft genug mit ihrem Vieh teilen.

In Moqqatam mangelt es an allem. Es gibt praktisch kein Trinkwasser, keine Kanalisation oder Energieversorgung.

Dementsprechend katastrophal sind dort die Lebensbedingungen: Im Sommer mörderische Hitze, Ungeziefer, Parasitenbefall, jede Menge von Infektionskrankheiten und lebensgefährlichen Verletzungen sind hier an der Tagesordnung.

60 Prozent der Kinder sterben innerhalb des ersten Lebensjahres.

Dennoch sind diese Ärmsten der Armen nicht ohne Beistand. Seit September vorigen Jahres hat sich ihrer der „Engel von Kairo“, Schwester Emanuelle Cin- quin, angenommen. Mit erstaunlichem Elan und gottbegnadeter Sturheit wirkt die heute 74jährige französische Nonne vom Orden Notre Dame de Sion in einer kleinen Hütte inmitten ihrer „Müllkinder“.

Mit viel Umsicht und Feingefühl für den natürlichen Stolz dieser Menschen betreut Soeur Ema

nuelle gemeinsam mit ihrer Mitschwester Sarah Männer, Frauen und Kinder. Ihre Hütte hat einen primitiven Schulraum, wo die Kleinen ersten Unterricht im Lesen und Schreiben erhalten.

Die größeren Mädchen können mit Einverständnis der Eltern nähen und sticken lernen. Die Knaben haben die Chance, in einer der Werkstätten der Organisation Centre Medico — Social Salam „Paix“ eine Basisausbildung als Tischler, Mechaniker oder Schweißer zu erhalten.

Denn Soeur Emanuelle kann auf eine mehr als elfjährige Erfahrung unter den Armen Kairos zurückgreifen. Mit Hilfe freiwilliger Spenden werden von dieser Vereinigung in mühevoller Kleinarbeit gemeinsam mit koptischen Mitarbeitern Kindergärten, Sommerlager und Ausbildungsstätten für Sozialhelferinnen ein

gerichtet.

Schwester Emanuelle ist von früh bis spät auf den Beinen. Unterstützt von ihrem Chauffeur Georges, kümmert sie sich um Unterricht, medizinische Erstversorgung, aber auch darum, daß freiwillige Arzte regelmäßig die Bewohner Moqqatams besuchen und behandeln.

Während im Müllgebirge noch alles in den Kinderschuhen steckt, kann sie stolz auf Erfolge in anderen Elendsvierteln der ägyptischen Hauptstadt verweisen: Heuer werden erstmals fast 90 Vorschulkinder aus den Slums in öffentlichen Schulen aufgenommen.

Emanuelle Cinquin ist überzeugt, daß ihre Arbeit nicht ausschließlich in europäischen Händen bleiben darf.

„Ich habe hier wieder beim Nullpunkt angefangen. Es ist aber nötig, daß Ägypter die Leitung übernehmen. Sie kennen schließlich ihr Land, ihre Kultur, ihre Zivilisation und die Bedürfnisse der Menschen am besteni

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