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„Ich heiße Honrath"

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Der in Pulkau lebende Autor Alois Vogel arbeitet an einem neuen Roman. Zeit: 1956. Wir bringen einen Auszug

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Der in Pulkau lebende Autor Alois Vogel arbeitet an einem neuen Roman. Zeit: 1956. Wir bringen einen Auszug

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Attila fühlte sich benommen. Der plötzliche Wechsel von dem dumpfen unpersönlichen Vorzimmer in die intime Atmosphäre dieses Zimmers raubte ihm seine Überlegungen. Baron! Von Hor-vath! Auf Sie gewartet! Dieses und noch einige andere damit zusammenhängende Gedanken, die er noch in dem schmalen Gang, in dem das Vorzimmer endete, verfolgt hatte, waren nun dahin.

Er betrachtete die großen Ölgemälde an den Wänden, ihre dunklen, mattglänzenden, mit reichem Schnitzwerk verzierten Rahmen, in den spiegelnden Glasschrank, in dem verschiedene Gläser in Facetten und Facettchen spiegelten, wo auf hohen und dünnen Stielen zarte Kelche, wo wappengeschmückte, geätzte Renaissancepokale, wo venezianische Becher in kräftigen Farben und blaßzarte Figürchen Meißener Porzellans in Rosa und Lichtblau standen. Er betrachtete den alten Majolikakachelofen und die Rokokokommode daneben, auf der sich ein paar alte, in gleichfarbiges braunes Leder gebundene Folianten reihten.

Nicht, daß ihn diese Gegenstände in ihrer fremden Gelassenheit bedrückt hätten. Nein, er nahm sie nur wahr, wie man die hoch im Gesprenge gotischer Kirchen verborgenen Heiligen, wie man mythische Ungeheuer in den verschlungenen Kapitellen romanischer Krypten und die ferne himmlische Entrücktheit in den Augen byzantinischer Mosaiken wahrnehmen kann. Es waren Splitter eines anderen Lebens. Scherben eines fremden Kultgefäßes, Strandgut, angespült aus einem großen, stillen Ozean. Attila betrachtete den honiggelben Parkettboden und den mit einer zartgeschmückten Leiste versehenen, stuckierten Plafond. Er kam aus dem dunklen Gang, aus dem zwielichtigen, grauen Vorzimmer mit den geleckten Filmgesichtern auf dem runden, abgescheuerten Tisch. Er ging ein, zwei Schritte in den Raum und blieb stehen.

Die Stimme Doktor Gruber-Waldeggs riß ihn aus seiner Betrachtung. „Bitte wollen Sie nicht Ihren Mantel ablegen?" fragte dieser, und da Attila eine abwehrende Handbewegung machte, folgerte er: „Ja, es ist kühl hier. Wir heizen in diesem Raum fast nie. Wir sind den ganzen Tag drüben in den Kanzleien, und seit einiger Zeit wohne ich mit der Familie draußen am Stadtrand. Ein bescheidenes, kleines Häuschen, mein Gott, man muß sich eben einschränken. Bitte, nehmen Sie Platz!"

Die beiden setzten sich in altmodische Polstermöbel, Attila mit dem Rücken zum Fenster. So konnte er in den Raum blicken, zu den Bildern sehen. Er hatte Zeit, sie richtig zu betrachten, denn Doktor Gruber-Waldegg ließ ihn noch nicht zu Wort kommen. „Sie werden wahrscheinlich noch nicht bei Ihrem Haus vorbeigekommen sein? Was sage ich, Haus! Besser gesagt Ruine. Es kostet viel, sehr viel Geld, ein solches Gebäude wieder aufzubauen. Sie können es sich vorstellen. Na, und daß die Kredite dazu zuerst an die Eigentümer von Häusern vergeben werden, die hier Staatsbürger sind, werden Sie sich ja vorstellen können. Wir haben uns sicher sehr bemüht, das können Sie glauben. Schließlich liegt es ja auch in unserem Interesse, daß das Haus wieder in Ordnung gebracht wird. Aber leider... Ich versteh', wenn Sie in Ihrer jetzigen Lage, Sie haben sicher nicht viel mitnehmen können, an einen Verkauf Ihrer hiesigen Besitzungen denken. Natürlich, Sie werden Geld brauchen. Aber, ja, das ist es eben, wer kauft eine baufällige Ruine? Und, verschleudern werden Sie Ihr Eigentum doch nicht wollen?"

Attila machte eine hilflose Handbewegung. Er wollte erklären, daß er kein Baron sei und auch nicht von Horvath, sondern schlicht und einfach Horvath heiße, und daß er auf das Haus zwar ganz und gar kein Recht habe, aber gerne in der Ruine, in einem noch notdürftig zu reparierenden Zimmer, eine Unterkunft finden möchte. Doch der andere sprach unaufhörlich weiter. Er sprach von dem Horvathschen Großvater, der immer gerne, trotz seines hohen Alters, flott gelebt, und der dabei doch dieses und jenes Gut, dieses und jenes Haus erworben hatte. Er sprach vom alten Herrn Baron. „Gott, was für ein sympathischer und ungemein gemütlicher Mensch! Wie oft hat er mich auf ein Glas Wein in eine der Buschenschenken eingeladen. Damals ist das noch alles ganz anders gewesen..."

Der Herr Doktor Gruber-Waldegg sprach nun von der Jagd. Seine alten, müden Augen bekamen einen freudigen Schimmer und die vielen, winzigen Fältchen um die Augen zeichneten prägnante Schatten. Attila war es ganz entgangen, wie sein Gegenüber auf dieses Thema gekommen war. Er hatte auf die Bilder gestarrt, auf den matten Schimmer der Leinwand, er war den undeutlich mit dem Hintergrund sich vereinenden Kontur nachgegangen, hatte in dem Braun und geheimnisvoll dunklen Grün zarte rote Runen entdeckt, die er nun verfolgte.

... Attila hatte ihm nicht widersprochen. Er ging wieder in das Hotel zurück. Langsam ging er und nachdenklich. Und er dachte daran, daß er nie auf einer Jagd war, er dachte daran, daß seine Eltern und Großeltern nie in Karossen gefahren waren, er dachte daran, daß er mit seiner hustenden Schwester wieder in das Lager zurück müsse. Er dachte daran, daß er unter Lebensgefahr über die Grenze gekommen war und daß er drüben nicht viel, aber doch ein geordnetes Heim aufgegeben hatte. Er dachte an den Baron Horvath, mit dem er verwechselt worden war.

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