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Keine Geschichte des Buchhandels

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Ohne Verlage, ohne Buchhandel gäbe es nicht jene Verbreitung von Literatur, die wir alle stillschweigend voraussetzen. Tausende und aber Tausende Bücher aus längst vergriffenen Editionen, kaum im Antiquariat aufzutreiben, oft bloß in einer öffentlichen Bibliothek, berichten von längst vergangenen Zeiten, von Vorlieben und Abneigungen, geben Auskunft über sonst schon Vergessenes. Ohne diese Zeugen der Zeit sähe unsere Welt anders aus. Einig ist man sich über die Bedeutung der Verlage und des

Buchhandels für die historische Entwicklung der Literatur - doch wie die historische Entwicklung dieses maßgebenden Gewerbes verlaufen ist, darüber ist wenig bekannt.

Der österreichische Buchhandel hat eine Tradition, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Von 1765 an rückte Wien mit seinen Verlagserzeugnissen vom 46. auf den dritten Platz der deutschsprachigen Buchproduktion. Maßgebend beteiligt an dieser Entwicklung war der berühmte Johann Thomas Edler von Trattner (1717-1798). Die bedeutende Rolle des österreichischen Zeitungsverlages wurde durch ei-'

ne Ausstellung in der Osterreichischen Nationalbibliothek „200 Jahre Tageszeitung in Osterreich" dargestellt.

Neben der Verlegertätigkeit, die früher mutiger war als heute, sorgten vom 18. Jahrhundert an Lesekabinette, später Leihbuchhandlungen für die Verbreitung von Literatur. Auch das Wirken der ausgewanderten oder exilierten österreichischen Buchhändler und ihr Einfluß in zahlreichen Ländern ist bemerkenswert.

Wo ist jene historische Kommission, die all diese Daten, Fakten, Querverbindungen, Briefwechsel, Archive und vieles andere dokumentarische Material mehr aufarbeitet?

Peter R. Frank von der Stanford University (Kalifornien) veröffentlichte unlängst einen Aufruf zur Gründung einer solchen historischen Kommission im Anzei-

ger des Osterreichischen Buchhandels. Nichts geschah.

Wenn in Deutschland durch die Initiative eines einzelnen, des Verlegers Eduard Brockhaus, 1876 eine solche Kommission gegründet wurde, so findet das Beispiel in Österreich auch noch hundert Jahre später keine Nachahmung. Es gibt freilich Einzelwerke wie die großangelegte Studie „Der jüdische Buchhandel im Dritten Reich" von Volker Dahm, in der auch die Arisierung des Buchhandels in Österreich mitberücksichtigt wird; auf den Versuch einer umfassenden Darstellung warten wir allerdings vergeblich.

Gerhard Prosser, der Generalsekretär des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels, kann nicht recht daran glauben, daß die Gründung einer historischen Kommission auf breiter Basis unmittelbar bevorstünde,

denn der „nervus rerum sei noch nicht bekannt". Er meint die Geldquelle. Der Buchhandel scheint für Historisches kein Interesse zu haben.

Unverständlicher wird die Haltung des Hauptverbandes noch durch die Tatsache, daß zahlreiche hochqualifizierte Absolventen der Universitäten keinen Arbeitsplatz finden, daß unbearbeitetes Forschungsmaterial vorliegt und der Hauptverband den Kontakt zu den Ministerien in dieser Sache noch nicht gesucht hat.

Den Bestand des Archivs von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis 1945 im österreichischen Buchgewerbehaus haben Wolfgang Duchkowitsch und Karl Megner geordnet. Der Verlag Otto Harrassowitz, der sich auch mit dem Buch- und Bibliothekswesen befaßt, wandte sich an die beiden Wissenschaftler, die hauptberuflich in der österreichischen Nationalbibliothek tätig sind, mit dem Ersuchen, eine Geschichte des österreichischen Buchhandels zu verfassen. Das Projekt zerschlug sich an der Frage, wie die notwendige Finanzierung geregelt werden könnte.

Vielleicht wird eines Tages eine Darstellung der Geschichte des österreichischen Buchhandels erarbeitet werden — und wenn nicht anders, dann als Anhängsel einer deutschen Kulturgeschichte.

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