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Verleger, etwas verlegen

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Honi soit qui mal y pense — dieser Wahlspruch des höchsten englischen Ordens könnte auch für die Buchbranche gelten, die ja gern von hochgeistigen Idealen, und nur von ihnen, redet. Aber mit Fraktur geredet: Verlag und Sortiment von Büchern sind ein hartes Geschäft, es läuft keineswegs von selber, es läuft immer Gefahr, und hierzulande war sie nicht nur kommerziell, sondern auch politisch Epochen hindurch recht groß.

Darüber wurde nie viel gesprochen, geschweige denn geschrieben, und es ist der jetzt in Wien ansässige, jedoch gebürtige Engländer Murray G. Hall, ein Fremder also, der dief t befremdenden Umstände unbefangen erforscht und detailliert dokumentiert hat: „österreichische Verlagsgeschichte 1918-1938“, zweibändig, mehr als 1000 Seiten, demonstriert manche Schattenseiten eines vielseitigen Gewerbes.

Hauptsächlich unter die Lupe genommen sind jene Unternehmer, die auch oder ausschließlich Schöne Literatur produzierten oder es noch immer tun. Daher mußte der erste Abschnitt (rund 90 Seiten) von der prekären „Entwicklung des Verlagsbuchhandels in Österreich bis 1918“ handeln, von der Vorgeschichte und dem Grund, warum es derart lange gut wie keine Verlage für Belletristik bei uns gab: Rigorose Zensurbestimmungen einer mißtrauischen Obrigkeit, die von Schöner Literatur immer Unschönes befürchtete, verhinderte Jahrhunderte hindurch Verlagsgründungen. Einzelne Buchhändler freilich wagten dann und wann nebenbei, Belletristik zu drucken; darum nannten sie sich „Verlagsbuchhändler“. Aber Nur-Verle-ger für Schöne Literatur gab es in erwähnenswertem Ausmaß erst nach 1918; daher ohne praktische Erfahrung. Bis dahin kamen die Werke auch der bedeutendsten österreichischen Schriftsteller fast ausschließlich in Deutschland heraus.

Auch die Republik ließ sich zunächst Zeit. Man brauchte eine Konzession, das Bewilligungsverfahren wurde gern und ausgiebig verzögert. Erst nach einer Lockerung schössen plötzlich größere und kleinere Verlage wie Schwammerln aus dem Boden; die meisten verschwanden bald wieder: Man übernahm sich, die Schulden wuchsen, der Verlag ging zugrunde.

Das vorliegende Kompendium (ediert von einem bisher rein wissenschaftlichen Verlag: er ist außer Obligo) behandelt, erstaunlich breit belegt und immer kritisch kommentiert, die Zwischenkriegszeit. Doch wird, falls so eine Verlagsfirma NS-Zeit und Krieg überstand, auch ein oft genug skeptisch-erstaunter Blick auf die Weiterentwicklung nach dem Krieg geworfen, nicht gerade zur großen Freude der in solchen Betracht Gezogenen. Die Fakten illustrieren nämlich unwiderlegbar, was man heutzutage nicht wahrhaben will: daß auch das hiesige Buchgeschäft eben einem Staat angehörte, „den keiner wollte“, daß es in Fachorganen und auf Plakaten begeistert mitjubelte, als 99 Prozent der Bevölkerung (soweit ihr das Wahlrecht nicht aberkannt war) bei der Abstimmung 1938 „ja“ zum Anschluß sagten.

Der erste Band (427 Seiten) hat den Untertitel „Geschichte des österreichischen Verlagswesens“ und analysiert die Entwicklung vom Ende des 15. Jahrhunderts bis zur Zäsur 1932/1933. Das Werk gibt Aufschluß über die damalige Produktion und geht dann sowohl auf die Beschränkungen ein, die vom autoritären Regime verfügt wurden, als auch auf die Umstände einer allmählichen Gleichschaltung, die durch den Druck des Dritten Reiches veranlaßt waren.

Zu alldem kam, daß Verleger und Buchhändler — also die natürlichen Partner — nicht immer die gleichen Interessen hatten, besonders was das infame Export-Dumping des Dritten Reiches anlangt: Es gab die in Deutschland gedruckten Bücher in Österreich um 25% verbilligt ab. Das war von

Vorteil für den Händler, aber ruinös für hiesige Verleger.

Der Schlußabschnitt, „Das angeschlossene Österreich“, registriert noch, wie es nachher oft drunter und drüber ging. Arisierung oder Liquidierung führten zu Einzelkatastrophen, ein diktatorisch festgelegter Umrechnungskurs von Schilling auf Mark brachte den Geschäften weitere Verluste.

Band 2 (600 Seiten) behandelt „Belletristische Verlage der Ersten Republik“: In alphabetischer Anordnung beginnt er mit dem Amalthea-Verlag und endet mit dem Paul Zsotnay Verlag. Ausnahmen werden nur dort gemacht, wo innige Verflechtungen verschiedener Firmen bestanden. Und wie man einst von einer „Frau mit Vergangenheit“ sprach, könnte man da und dort einen „Verlag mit Vergangenheit“ erkennen. Das wäre alles begreiflich, weil aus der Zeit erklärbar. In besonders krassen Fällen verwunderlich wird das überhöhte Maß an Ehrungen, die einige Uberlebenskünstler von der Zweiten Republik empfangen durften.

ÖSTERREICHISCHE VERLAGSGE-

SCHICHTE 1918-1938. Von Murray G. Hall. Böhlau-Verlag, Wien 1985.1027 Seiten, 2 Bde. öS 980,-.

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