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Kleiner Bahnhof null Uhr fiinf

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In dieser Nacht, zwischen den Zii-gen, die Georg im Wartesaal ver-brachte, war die Zeit rund.

Der Rothaarige ihm gegeniiber soff sie aus Kognakglasern.

Er sah ihm einaugig zu, lieB sein zweites Auge vor- und zuriickblik-ken. Die weiBe Hand mit den hellen Flecken griff in rhythmischen Ab-standen nach dem Glas, schoB vor und zog sich wie eine Schnecke zu-riick. Er schenkte sich aus einer Fla-sche nach,

Nach dieser Prozedur blinzelte er jeweils mit den farblosen Wimpern, aber immer ins Ungewisse und gerade so vor sich hin, daB man es we-der als Auf- noch als Herausforde-rung betrachten konnte.

Auf dem geolten FuBboden blieben einige Schneeplattchen liegen. An ihren Randern begann es schwarzlich zu glanzen.

Der Larm veranlaBte den Rothaa-rigen, sich aufzurichten. Er lehnte sich mit den Unterarmen auf die Tischplatte und versuchte mit einer Messerklinge seine Pfeife auszukrat-zen. In einer Rindsblase, die mit Ta-bak gefiillt war, begann er sie zu stop-fen. Er brannte sie iiber einem bla-kenden Feuerzeug an und stieB die ersten Ziige blau aus sich heraus, wie ein Laufer, der am Ziel Luft holt. • Dann lieB er sie in den Mundwinkel gleiten und schmatzte daran, leise aber mit intensivem Wohlbehagen.

Die Pfeife zwischen den Zahnrei-hen lassend, sagte er zu Georg:

„Sie sollen sich einen Baren kau-fen, Leutnant.“

Er sprach, ohne die Stimme zu er-heben. Die Worte kamen ohne jede Farbe aus seinem Mund, waren aber von einer leisen Deutlichkeit, die eine lange Ubung im Sprechen verriet.

Der Angeredete schaute den Rot-haarigen eine Weile an, mit einer vor-sichtigen Aufmerksamkeit, doch ohne Verwunderung. Dann schob er seinen Stuhl, ohne aufzustehen, etwas vom Tisch ab, streckte die Beine, die in faltigen Stiefeln staken, von sich, stiitzte die Hande in den Ta-schen seines abgetragenen Militar-mantels auf und zog mit dieser Be-wegung ihn vor der Brust auseinan-der. Den Blick auf seine Stiefelspit-zen gerichtet, antwortete er:

„Einen schwarzen oder einen wei-Ben?“

Der Rothaarige, der seine Frage ernst genommen sah, sog an seiner Pfeife. Nach einer Weile sagte er:

„Hauptmann, so einfach ist das nicht.“

Der in Minuten Befbrderte lieB die neue Anrede genauso gleichmiitig wie die erste iiber sich ergehen.

„Genau,“ sagte er, „es gibt Teddy-baren, Tanzbaren und Saubaren, um nur ein paar zu nennen.“

„Sie scherzen, Feldwebel,“ antwortete der Rothaarige und driickte seine MiBbilligung in der abgewerteten Ti-tulierung aus. „Ich meine es jedoch ernst.“ fuhr er fort.

Georg nahm den Tadel nicht zur Kenntnis. Er zog aus einer Tasche eine Schachtel mit Zigaretten und begann zu rauchen.

Der Rothaarige sah ihm zu, stu-dierte das verhaltnismaBig schmale Handgelenk, die braune, etwas per-gamentahnliche Haut, die sich im Gesicht, iiber den vorgetretenen Backenknochen, wiederholte. Die Augen lagen vertieft, die Schlafen, angedeutet ergraut, waren eine Spur eingedriickt, so daB der Kopf wind-hundartig wurde.

Der Riicken war etwas gebeugt, Schultern und Kopf gegen den Wind genommen. Er schien abgesessen zu sein und dennoch zu reiten. Seine so-nore Stimme war am Ziigel gehalten, wenn er sprach. Sie klang an wie ein dunkles Holzinstrument und schien fahig zu sein, iiber weite Strecken zu tragen.

„Ein Bar“, begann der Rothaarige nach einiger Zeit neuerlich, „ware das Richtige fur Sie. Glauben Sie mir, jeder hat seinen Baren, oder sollte ihn haben. Sie haben keinen, habe ich recht?“ Der Reiter sah durch die Ringe seines Rauches in die galizi-sche Ebene und er horte in dem Knacken des erkaltenden Ofens die Aste in den Karpatenwaldern bre-chen. Der Rothaarige starrte in sich und in die Karawanken und in den Himmel, der nahe und glanzend die Zeichen zeigte, damals -

Sie schwiegen aufeinander zu und es war Georg, der den Faden knupfte.

„Der weifie Vogel und der Bar ge-horen zusammen“, sagte er. „Sie wohnen in den Waldern und unter den Hausern. Sie wandern in den Nachten. Ihre Stimmen hangen im Tag. Jeden Tag an einem anderen Ort, jede Nacht in einem dunkleren Wald.“

„Der Bar“, sagte der Rote, „ist stark. Er hat eine verspielte Seele und einen naschhaften Verstand. Seine Zunge denkt Honig und seine Pranke reiBt Spane. Er hat keine Gesichter. Er ist immer der Bar. Sie sollten ihn nehmen.“

„Wen?“ fragte der abgesessene Reiter, „Ihren?“

„Irgendeinen, wenn Ihnen meiner nicht gefallt, General.“

„Er miiBte braun sein, dunkel, er-dig, wie ein Acker unter dem Pflug im Marz. Kleine Ohren miiBte er haben, die innen glanzend sind wie die Scha-len einer Muschel. Seine Augen muB-ten traurig sein wie ein Wasserloch im Moor, das der Fohn verhangt.“

Der Rothaarige nickte: „Er ist braun, seine Ohren sind Muscheln und er blickt schwarz wie ein Moor-auge.“

„Hat er den Gang aus einem Trommelton und die Stimme einer BaBgeige?“

„Er wiegt sich aus der Trommel und er spricht aus der tiefsten Stelle des Holzes.“

„Er ist es“, sagte der Reiter.

„Er ist es“, antwortete der Rote.

Es war feierlich still. Die quiet-schenden Rader eines rangierenden Waggons schnitten in den Rand dieser Stummheit. In das BewuBtsein der Manner drang der Larm nicht.

Der Rote hatte-zu blinzeln aufge-hort. Er starrte aus blassen, blauen, fast flackernden Augen auf Georg. Dieser erwiderte den Blick, ernst, mit leichtem Spott in den Mundwinkeln die Running verdrangend. Der Rote griff in die Tasche seines Mantels und reichte die Flasche iiber den Tisch.

..General“, sagte er und sah ihn auf-fordernd an.

Georg entkorkte die Flasche, hielt sie schrag und sah im Spiegel des Weinbrandes sein Gesicht; es war braun wie das Fell des Baren. Sie tranken, gemessen, wortlos. Sie lie-Ben die Glaser beiseite und tauschten die Flasche, bis der Boden wie ein Berg aus dem Meer stieg.

„Es ist weit von hier“, sagte der Rote. „Wir werden lange unterwegs sein. Wir mussen wandern, fahren, wandern.“

„Was soil der kosten?“ fragte Georg.

„Sie konnen ihn nicht bezahlen, Oberst, aber er wird Ihnen gehoren.“

„Wir mussen gehen, ehe der Zug kommt.“

..Sofort!“

Der Rote nahm seine geringen Habseligkeiten unter den Arm. Aus dem eingerissenen Packpapier, in das er sie gehullt hatte, starrte die Kante eines Buches heraus.

Georg knopfte seinen Mantel zu, griff nach dem grauen, fleckigen Hut, warf den Rucksack iiber die Schultern und schritt, sich in den Knien wiegend, zur Tiire.

Einen Augenblick standen sie auf dem Bahnsteig und sahen in die schwankenden Lichtkreise der auf-gehangten Laternen.

„In einer Stunde“, rief der Eisen-bahner, der von der Laderampe zu ihnen her sah.

„In einem Jahr“, rief der Rote und seine Stimme stieg wie ein Trompe-tensignal iiber den Bahnhof.

Dann wandten die beiden sich ab und ihre Schritte verloren sich in der Nacht.

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