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Kommunismus schützt nicht vor Bestechlichkeit

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Parteiführung und Staatssicherheitsdienst der UdSSR mußten wiederholt die bittere Erfahrung machen, daß auch der neue, der Sowjetmensch, nicht für den wahren, selbstlosen, opferbereiten Sozialismus geschaffen ist. Ideologiefanatiker, Leistungsstacha- nowisten und Kontrolleure aller Art mußten konstatieren, daß die Genossen Funktionäre nach jahrzehntelanger Umerziehung nicht weniger auf den eigenen Vorteil bedacht sind als ihre kapitalistischen Kollegen. Der manuell Werktätige träumt ebenso wie der gebildete Funktionär von höherem Lohn für weniger Arbeit, verlangt nach mehr Freizeit und nach persönlichem Eigentum, mit einem Wort: nach Dingen, die ihm eine gewisse Unabhängigkeit garantieren. Der ganze Erziehungsapparat der Partei mit seinen Propagandisten, vor allem aber die erzwungenen „freiwilligen Arbeitsangebote“ und Wettbewerbe lassen die Sowjetbürger offenbar kalt Wer daran zweifelt, sollte die offiziöse Chronik der bekanntgewordenen sowjetischen Korruptionsskandale und Bestechungsaffären studieren. -

Da gab es den Fall Bazai in Nowgorod. Die Klage lautete auf Annahme von Bestechungsgeldem, ebenso wie bei der Affäre Boronow und beim Prozeß gegen Kabatsky in Krasnodar. Es gab in Moskau die Fälle Bur und Dinerstein, deren Bakschischhunger unstillbar gewesen sein muß. Die neueste sowjetische Sensation bildet ein Monsterprozeß in Baku gegen nicht weniger als 24 Handels- und Lebensmittelinspektoren der staatlichen Gostorin- spektsij, die dem Handelsministerium der Teilrepublik Aserbeidschan unterstellt ist. Auch der frühere Chef die ses Inspektorats saß auf der Anklagebank. Die Bedeutung des Falles liegt nicht so sehr in der Höhe der Bestechungssumme (insgesamt 94.000 Rubel), als vielmehr darin, daß die Angeklagten ausnahmslos führende Funktionäre waren. Um den Skandal unter Kontrolle zu halten, wurde die Untersuchung aus derHand des zuständigen Staatsanwalts genommen und dem Staatssitherheitsdienst anvertraut. Die Voruntersuchung dauerte sechs Monate und der ganze Bestechungs- roman füllt 100 Aktenordner. Das Gericht hörte nicht weniger als 300 Zeugen an, die in der Mehrzahl Spender von Bestechungsgeldern waren. Sinn des Prozesses war es, ein abschrek- kendes Exempel zu statuieren. Die 24 Deliquenten wurden zu vielen Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Für den Sowjetstaat ist die soziologische Seite dieser Affäre ebenso wichtig wie unverständlich. Nach parteiamtlicher Auffassung gibt es nämlich keinen soziologisch haltbaren Grund für solche Verbrechen. Es darf und kann ihn niemals geben. Einige lokale Blätter meinen, die Bestochenen hätten eben „keine wahren Ideale“, denn wie wäre es sonst möglich gewesen, daß Männer, die „im Lichte der Oktoberrevolution geboren“ wurden, solcher Schandtaten fähig waren? In Baku waren schließlich alle Angeklagten alte Parteimitglieder! Kein Wunder also, daß sich auch das Zentralkomitee der Partei mit diesem Skandal eingehend beschäftigt hat Am alarmierendsten ist für die Partei, daß sich die Bestechungswelle geographisch und zeitlich nicht begrenzen läßt, sondern alle Republiken der UdSSR überflutet.

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