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Kritische Studie unter Verschluß

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„In einer Zeit, in der Jugendprobleme sich verschärfen, ., ist es umso unverständlicher, daß eine sozialistische Gemeindeverwaltung nicht mehr Anstrengungen und Geld aufbringt, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern", greift Franz Köppl, kommunalpolitischer Referent der Arbeiterkammer und Autor einer Studie „Jung sein in Wien", die Jugendpolitik der Stadtverwaltung an.

„Jung sein in Wien", vor allem als Mitglied einer einkommensschwachen Familie, bietet Grund zu Unzufriedenheit. Zu diesem Schluß berechtigt die Lektüre der nahezu unbekannten AK-Studie, von der sich Vizedirektor Otto Zöllner wegen „überzogener Kritik" und der „nicht immer gezü-gelten Wortwahl" vorsorglich in einem Vorwort distanziert.

Aber: „Demokratie ist Diskussion", wenngleich die Studie nicht einmal in der hauseigenen Bibliothek eingesehen werden kann. „Sie befindet sich noch im Diskussionstadium — nur für interne Zwecke," erklärt man im AK-Pressereferat.

Eigentlich erschien die Studie schon im August 1981. Aber nur einige Exemplare drangen nach außen. Zur Situation:

Begonnen haben die Wiener „Jugendrevolten" 1976 mit der Forderung nach einem selbstverwalteten Jugend-, Kultur- und Kommunikationszentrum in der St. Marxer Arena. Das Verständnis der politischen Stellen war gering. Im Oktober 1979 demonstrierten Jugendliche gegen den Abriß der Phorushalle und mißachteten das „Rasenverbot" im Wiener Burggarten. Die Stellungnahme der Gemeinde: „Wem's nicht paßt, der soll sich scheren!"

Am 1. März 1981 marschierten in der Wiener Innenstadt 500 Jugendliche auf mit den Forderungen nach mehr und besseren Wohnungen. Kurz darauf, am 1. Mai, kam es zur ersten „Instandbesetzung" eines leerstehenden Hauses.

In Wien gibt es zur Zeit 21 Jugendzentren (ohne die beiden selbstverwalteten Kultur- und Kommunikationszentren Amer-linghaus und Gassergasse), die jährlich mit 36 Millionen Schilling von der Gemeinde subventioniert werden.

„Für den laufenden Betrieb um 3,7 Millionen zuwenig", betont Erik Hanke, Obmann des Vereins .Jugendzentren der Stadt Wien".

Der Autor der Studie bemerkt dazu: „Die Folge der Budgetkürzungen sind Jugendzentren, die baulich fertig, aber aus Personalmangel geschlossen bleiben."

Zum Vergleich: Das Theater an der Wien bekam 1980 93 Millionen an Subventionen, das Festwochenbudget betrug 1981 38 Millionen Schilling.

Zum Handkuß kommen die Kinder aus einkommensschwachen und sozial benachteiligten Familien, zumeist in den mit Infrastruktur schlecht ausgestatteten Stadtteilen. Ihre Kultur wird nicht gefördert.

Zwei Drittel der Besucher von Jugendzentren sind Lehrlinge. Besonders häufig darunter jene Jugendliche, die das Zentrum am meisten brauchen. Sie zählen zu den „Sprachlosen", die in ihrer Erziehung zwar gelernt haben.Anweisungen zu befolgen, weil sie sonst bestraft wurden, aber die nicht die Chance hatten, eigene Wünsche durchzusetzen. Sie haben oft resigniert und sind wenig eigeninitiativ.

In Jugendzentren sollen nun die Chancen für persönliche Entfaltung und für das Erleben solidarischen Verhaltens ebenso wie Möglichkeiten zu sinnvoller Freizeitgestaltung geboten werden. „Aber der pädagogische Anspruch kann derzeit nicht erfüllt werden", heißt es in der Studie.

1981 waren 68 Personen ganztags, 80 teilzeitbeschäftigt. „Damit der Betrieb den Anforderungen moderner Jugendarbeit entsprechen würde, wären jedoch mindestens noch zehn Ganztagsund 14 Teilzeitbeschäftigte notwendig", erklärt Hanke in der Studie.

Wie wichtig Jugendzentren für Lehrlinge und junge Arbeiter wären, wurde erst kürzlich in einer Studie des Bautenministeriums klar festgestellt. Vor allem die billigen Preise und die Multif unktio-nalität gegenüber anderen Lokalen, die oft für Jugendliche gar nicht geeignet sind, standen im Vordergrund.

Aus Geld- und Personalmangel bleiben die Jugendzentren zumeist am Wochenende geschlossen, also gerade zu dem Zeitpunkt, wo wirklich Bedürfnisse dafür bestünden.

„Als Alternative zur Hochkultur (Oper, Theater, Ausstellungen) bleiben den Jugendlichen nur zwei Möglichkeiten: der Konsum von Massenkultur der Vergnügungsindustrie oder subkulturelle Aktivitäten", meint Köppl.

„Jugendliche haben Grund, unzufrieden zu sein: Stadtzerstörung durch Abbruchspekulation, Isolation in Wohnsilos am Stadtrand, qualitative Wohnungsnot ... Der Verlust an Lebensqualität wirkt sich immer brutaler auf unser Zusammenleben aus. Die Wiener Stadtverwaltung ist jedoch bisher kaum bereit gewesen, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Ebenso fehlte ihr das soziale Engagement in der traditionellen Jugendpolitik." ,

Die Schuld an dieser Misere gibt Köppl der sozialistischen Rathausmehrheit, der Lehrlinge und Arbeiter doch am Herzen liegen müßten.

„Ein totales Versagen der Kulturpolitik, speziell in der Jugendkultur", resümiert der Autor und fordert:

• höhere Jahressubventionen für inhaltliche Arbeit und bessere Betreuung von Jugendzentren;

• ein „Vertrauensvorschuß" für die Zentren, indem man ihnen mehr Autonomie und Selbstverwaltung zugesteht;

• Gemeinschaftsräume in den Stadtrandsiedlungen,

• undschließlicheinegrundsätz-liche Änderung der Kulturpolitik, also mehr Augenmerk für „Jugendkultur".

Köppl zieht auch Vergleiche mit anderen Ländern:

• Dänemark habe die Subventionen für Jugendzentren schon lange gesetzlich abgesichert; England habe sogar die Unterstützung für das Nationaltheater und die Englische Nationaloper gekürzt, um damit Gruppen zu finanzieren, deren Kunst eine breitere Schicht der Bevölkerung erreicht.

Zu guter Letzt schlägt der Autor eine Pflichtlektüre für die Rathäusler vor: „Eine Stadt in Bewegung", die Dokumentation der Zürcher Sozialdemokraten über die Unruhen in ihrer Metropole. War die kürzliche Wahlschlappe ein Wink mit dem Zaunpfahl?

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