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Kultur der Gesellschaft aus Kultur der Familie

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Familie als Kleingemeinschaft und Basisgruppe von Gesellschaft und Kirche ist Gestaltungsaufgabe aller Menschen, die in ihr leben; vor allem natürlich der Eltern, aber, je größer sie werden, auch der Kinder. Die Familienmitglieder prägen einerseits ihr Zusammenleben nach bestimmten Regeln, anderseits gestalten sie es nach ihren Willen frei. In beiden sind sie bestimmt von Vergangenheit, von der Familienkultur, in der sie groß geworden sind, die ihre Kindheit und Jugend formte. Die Familienkultur wird von den Menschen einer Familie geprägt sowje von den kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, in deren Bereich eine Familie lebt.

Familienkultur umfaßt alle Lebensbereiche der Familie, die von den Familienmitgliedern kraft ihres Geistes gestaltet und geprägt werden und den rein natürlich-triebhaften Bereich geistig bewältigen und ausentfalten. Alle Bereiche des Lebens einer Familie hängen zusammen, wirken aufeinander ein und prägen das Leben des einzelnen und der ganzen Familiengemeinschaft. Das Schicksal des einzelnen Familienmitgliedes hängt darum auch von der Kultur der Familie, in der es lebt, ab; ein Schicksal, das es selbst mitbestimmen und gestalten kann.

Einige Fragen zu Aspekten der Familienkultur: Welche Werte liegen dem Leben der Familie zugrunde, werden verwirklicht und an die nächste Generation weitergegeben? Wie verhalten sich die Familienmitglieder zueinander? Wie reden sie miteinander?

Ist |das Gespräch zwischen den Ehepartnern auch nach Jahren der Ehe noch frisch, persönlich, tief, weiterführend, helfend; achtungsvoll der Meinung des Partners gegenüber? Wie re-'den Eltern mit ihren Kindern? Als Vorgesetzte oder als Partner? Befehlend oder helfend? Unterdrückend oder fördernd? Ist für die Eltern ihre Erziehungsaufgabe eingebettet in die große Verantwortung, die sie für die Entfaltung der positiven Anlagen und Fähigkeiten im Kinde haben, für die gute Einführung in das Leben, auch in das Leben und die Kultur der Gemeinschaften, in denen Familie geborgen ist? Wie sprechen Kinder mit ihren Eltern? Als Fordernde oder als Mitverantwortliche? Als Erhabene oder als Verstehende? Wie sorgen erwachsene Kinder für ihre Eltern?

Wie und wieviel verbringen die Familienmitglieder Freizeit miteinander? Voll Langweile oder in aktiver, kreativer, freudiger Gemeinsamkeit? Was wird in der Familie gespielt? (Spiel ist nicht nur für Kleinkinder ein Baustein des Lebens, sondern für die ganze Familie.) Wie wird der Alltag gestaltet? Rücksichtsvoll aufeinander hinbezogen oder beziehungslos nebeneinander? Ist die Familienatmosphäre so gut, daß alle Familienmitglieder gerne daheim sind? Wie gestaltet die Familie ihre Mahlgemeinschaft? Legt sie Wert auf gemeinsames Essen und auf gutes Gespräch während des Essens? Was reden Eltern vor ihren Kindern und wie reden sie über andere?

Wie tragen Eltern vor ihren Kindern Meinungsverschiedenheiten aus? Wie werden Probleme in der Familie gelöst? Zwischen Eheleuten, zwischen Eltern und Kindern, zwischen den Geschwistern? Welche Form von Partnerschaft können Kinder am Modell der Ehe ihrer Eltern sehen und in sich aufnehmen? Welche Feste feiert die Familie gemeinsam? Wie gestaltet sie diese Feste? Alle gleich und unpersönlich, oder auf den Anlaß abgestimmt oder auf das zu feiernde Familienmitglied? Wird Musik selbst gespielt? Hört die Familie bewußt gute Musik aus Radio, Plattenspieler oder Kassette? Oder ist Musik nur Berieselung, um die innere Einöde zu übertünchen? Werden aktive Liebhabereien gepflegt und unterstützt? Wird Sport des einzelnen zur Hilfe für die Familie oder stört er das Familienleben?

Die Familie wird in ihrem Leben mitbestimmt von ihrer Wohnkultur. Die Wohnung als Lebensraum der Familie wirkt ständig ein auf aüe Familienmitglieder: Die Enge oder Weite, die überstrenge Ordnung oder die lebendige, die auch manchmal wie Unordnung aussehen kann, aber erst das Daheimsein ermöglicht. Die Bilder an den Wänden, die religiösen Symbole, die Art der Möbel (ob personengerecht oder beziehungslos den Familienmitgliedern gegenüber), die Sprüche an den Wänden; sie alle bestimmen das personale und gemeinschaftliche Leben der Familienmitglieder. Welche Wohnkultur bieten die Eltern sich selbst und ihren Kindern?

Liest die Familie gerne Bücher und welche? Oder ist der Bücherschrank nur Dekoration? Spricht die Familie auch über Gelesenes? Spricht sie über gemeinsam gesehene Fernsehstücke oder -diskussionen? Wird Fernsehen bewußt zur Information und Unterhaltung benützt oder nur als Mittel, der Langeweile zu entkommen? Gibt es für die Kinder ein eigenes Spielzimmer oder eine Ecke, wo die Spielsachen aktiv verwendet werden können? Werden Kinder und Jugendliche zu phantasievollen, aktiven, selbstgestaltenden, eigenverantwortlichen Menschen entfaltet? Oder muß alles nach dem Willen der Eltern oder gar nur des Vaters geschehen?

Welche Gäste werden eingeladen? Wohin gehen die Familienmitglieder, wenn sie ausgehen? Stehen auch gemeinsame Unternehmungen der Familie auf dem Programm (Ausflüge, Wanderungen, Spaziergänge, Theater, Kino), und was geschieht dabei? Ist das erste Wirtshaus das Ziel oder das seichteste Stück oder hat die Familie bessere Ansprüche?

Die Antworten auf all diese Fragen bestimmen in jeder Familie Art und Qualität der Familienkultur! Diese Familienkultur ist jedoch nicht statisch, sondern meist - zumindest in den aktiven Familien - sehr dynamisch. Sie ändert sich je nach den durch die Entfaltung der einzelnen Familienmitglieder gegebenen Lebenssituationen als deren Resultante für die ganze Familie.

Familienkultur wurzelt wohl zuerst in der Tradition der Herkunftsfamilie (die wiederum eingebunden ist in die Kultur der Gesellschaft) und bekommt von ihr Grundlage und entscheidende Impulse. In einer partnerschaftlichen Ehe fließen nun zwei Traditionsströme in einen zusammen, werden integriert, manches wird dabei ausgeschieden, neues aufgenommen. Im Laufe der Ehe, aber auch mit jedem neuen Kind und dessen Entfaltung, muß und wird Familienkultur geändert, erweitert, personal bestimmt. Es entwickeln sich bleibende Sitten und Bräuche, aber auch solche, die nach einer bestimmten Zeit wieder geändert oder durch neue ersetzt werden.

Das Leben der Familie entfaltet sich immer neuen Gegebenheiten zu,'mit ihnen muß sich auch die Kultur einer Familie entfalten. Die Grundwerte und Haltungen werden bestehen, sie aktualisieren sich aber je nach den Lebensbedingungen der einzelnen Familienmitglieder und der ganzen Familie. Manches an Familienkultur wird vielleicht länger Bestand haben (Möbel, Bilder, Sitten) und wird vielleicht zu unterscheidenden Familienmerkmalen. Vieles wird positiven Veränderungen Platz machen müssen.

Junge Eltern können wieder - zumindest in den Grundlagen - auf die Familienkultur ihrer Kindertage, an die sie sich gerne erinnern, für ihre eigenen Kinder zurückgreifen.

Viele sagen heute: Wozu brauch“ ich „Familienkultur“. Hauptsache es geht uns gut! Sie übersehen einen wesentlichen Faktor jeder Kultur, auch dessen, was wir Familienkultur benennen: Nicht nur der Mensch gestaltet Kultur, diese wirkt wiederum auf ihn zurück, prägt ihn, gestaltet ihn, er nimmt unbewußt diese Einflüsse auf, die aus den Dingen, den Sitten, Bräuchen, Haltungen, die ihn umgeben, wiederum zu ihm zurückkehren, und er läßt sich mit ihnen ein. Besonders für die Kinder ist die Kultur einer Familie Schicksal für ihr ganzes Leben, da sie von dieser Kultur in den ersten besonders bildsamen Jahren stärkstens geprägt werden, nicht nur im kulturellen Empfinden, sondern ebenso in der charakterlichen und geistigen Entfaltung. Für alle Familienmitglieder aber ist Familienkultur darüber bestimmend, ob sie sich in ihrer Familie geborgen wissen und fühlen, ob Zufriedenheit und Lebensglück spürbar wird.

Mehr Beachtung der Bedeutung und des Wertes der Kultur in einer Familie würde viele Probleme zwischen Eheleuten und zwischen Eltern und Kindern ersparen. Erfülltes Leben und Familienkultur bedingen einander. Zu dieser Kultur der Familie und damit zu einem erfüllten Leben müssen aber alle Familienmitglieder beitragen, nicht nur die Mutter, sondern ebenso der Vater und alle heranwachsenden oder herangewachsenen Kinder. Dann wird aber nicht nur Familienkultur vorhanden sein, sondern auch Kultur der Gesellschaft.

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