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Leben auf dem Land

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Bei einer im Jahr 1968 in München gemachten Umfrage unter Jugendlichen (17- bis 28jährig) auf dem Lande haben 77 Prozent der männlichen Befragten und 82 Prozent der weiblichen Befragten die Zukunftsaussichten positiv beurteüt Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Lebensgestaltungsmöglichkeiten auf dem Lande, ein geringeres Maß an Ausgeliefertsein an „natürliche Heimsuchungen" machte der Agrarsoziologe Professor Ulrich Planck aus Stuttgart in dem Einführungsreferat der heurigen österreichischen Pastoratfagung zum Thema „Landpastoral" Ende Dezember im Bildungshaus Wien-Lainz für diese Umfrageergebnisse verantwortlich.

Wenn dem Landbewohner früher in seinem Leben „zwischen Hoffnung und Resignation" sein christlicher Glaube Trost und Hilfe war, so läßt der „Glaube" an den technischen Fortschritt trotz besserer Lebensverhältnisse viele Landleute in Angst vor der Zukunft, die verschiedene Ursachen hat.

Auf der einen Seite, so Planck, seien die früher vielfach vorhandenen Spannungsverhältnisse zwischen Stadt und Land abgebaut worden, anderseits haben - zum Teil auf Grund von Gemeindezusammenlegungen - verbesserte Versorgungseinrichtungen für die Landbevölkerung eine stärkere Zentralisierung in bestimmten Orten und damit eine verstärkte Notwendigkeit zur Motorisierung mit sich gebracht Die früher „totale Lebensgemeinschaft" der Landfamilie ist häufig einer Schlafgemeinschaft der Familienangehörigen gewichen, das Angewiesensein auf Nachbarn der Selbstisolation oder der nicht ortsgebundenen Wahl des Bekanntenkreises (was besonders für die Jugendlichen gut).

Hinzukommt eine Abnahme der überwiegend agrarisch genutzten Bodenflächen, insbesondere bei ungünstiger Lage - ein ständiger Vorgang der Verstädterung ist die Folge. Provinzielle Leere in diesen „Zonen verdünnten Lebens" tritt an die Stelle der Lebensfülle in kleinen überschaubaren Gemeinwesen. Ähnlich wie in den Städten tritt eine Verdünnung des sozialen Lebens ein, Identitätskrisen des Bauernstandes in seiner gesellschaftlichen Funktion (ehemaliger „Nährstand"!) sind die Folge. Die Ungesichertheit der Existenzgrundlage als Bauer wird häufig auf eigenes Versagen zurückgeführt, Vorwürfe der Uberschußproduktion an bestimmten Produkten oder der Umweltvergiftung durch Verwendung chemischer Hilfsmittel tragen das Ihre zur Verunsicherung bei.

Welche Konsequenzen hat nun das heutige Verständnis der „Botschaft

Jesu als umfassende Erlösung" für die Seelsorge auf dem Land? Was sind die Anforderungen, die Hilfen, für in der Landpastoral tätige Priester und Laien?

Der Luzemer Pastoraltheologe und Dogmatiker Professor Alois Müller versuchte zunächst dazu einige grundsätzliche Überlegungen zur Pastoral überhaupt beizutragen. Ausgehend von einem ganzheitlichen Heilsverständnis und einem Begriff der Gottesherrschaft, nach dem der Gott der Schöpfung mit dem Gott der Erlösung ident ist, scheinen das richtige Gottesverhältnis und das ganzmenschliche Wohl untrennbar miteinander verknüpft. Der Kampf gegen zeitliches Unheil sei in den Geboten Gottes beinhaltet, die Sendung der Kirche müsse es sein, ihr Tun auf ganzmenschliches Wohlergehen auszurichten. Das Politische als ein Teil der Heilsperspektive, gesellschaftliches Handeln nach christlichen Grundsätzen als Konkretisierung des Heiles Christi in den jeweils spezifischen Verhältnissen.

Dies würde - so Müller - beispielsweise ein Wirken für Gesinnungen und Strukturen einschließen, in denen die Menschlichkeit des Menschen die Leitgröße ist, an der wirtschaftliche Aspekte zu messen sind (betrifft etwa Fragen der Industrialisierung, der touristischen Vermarktung, der Distanzen Wohnort-Arbeitsplatz). Möglichkeiten zur Mitbestimmung des einzelnen über weittragende Entscheidungen, die Begünstigung der Familie als primäre Humanisierungsinstanz gegenüber einer Gefahr der Aushöhlung des großen menschlichen Beziehungsreichtums eines intakten Familienlebens sind notwendige Konsequenzen.

So verschieden auch die Probleme der in den Arbeitskreisen der Tagung zur Debatte gestandenen Pendlergemeinden, Tourismusgemeinden, der Pfarren ohne Priester am Ort, der Schulstädte und Gemeinden ohne Jugendliche, der Bergbauerndörfer und Industrieorte sein mögen, die Zeiten einer selbstverständlichen religiösen Geprägtheit der Landbewohner sind vorbei. Von dem Bruch mit tradierten Denk- und Verhaltensweisen ist auch der Glaube als „Traditionsgut" betroffen. Und es bedarf einer je eigenen persönlichen Glaubensentscheidung der Menschen im ländlichen Raum, zu der eine kluge Pastoral hinführen sollte, ohne zu sehr an Zahlen kirchlicher Trauungen, Taufen usw. zu hängen. „Umfassende Erlösung", auch verstanden als Förderung der Menschenwürde in der Gesellschaft, braucht solche bewußten Christen.

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