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Licht von Osten

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Am Freitag, dem 19. Jänner 1973, wurde im Rahmen einer kleinen Feier eine neue Zeitschrift aus der Taufe gehoben. Es erschien das'erste Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, das von nun an grundsätzlich jährlich unter dem Titel „KANON" (Verlag Herder, Wien) herausgegeben werden soll.

Die internationale Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, 1969 gegründet, hat ihren Sitz in Wien, wo im September 1971 der erste Kongreß der Gesellschaft auf Initiative des Erzbischofs von Wien, Kardinal König, stattfand. Der Wiener Kirchenrechtler Willibald Plöchl wurde zum Präsidenten der Gesellschaft gewählt und beauftragt, die Herausgabe einer Zeitschrift zu besorgen.

Nach verschiedenen Schwierigkeiten konnte nunmehr der erste Band vorgestellt werden. Er enthält einen kurzen Bericht über den ersten Kongreß, wobei unter anderem auch die ökumenische Andacht der Kongreßteilnehmer in Mariazell hervorgehoben wird. Diese Andacht, an der vor beinahe eineinhalb Jahren Angehörige vierzehn verschiedener Kirchen teilgenommen haben, hatte wohl die „ökumenischeste Besetzung", die es in Österreich jemals in einem derartig feierlichen Rahmen gegeben hat.

Das Buch bringt dann in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) die Statuten der Gesellschaft sowie ein in deutsch und griechisch abgefaßtes Kommunique des Kongresses. Die Aufsätze sind größtenteils auf Englisch, einige auch auf Französisch abgefaßt und haben als gemeinsamen Titel „Die alten Quellen des Ostkirchenrechts in der Gegenwart".

Der erste Aufsatz führt dann sofort in ein Grundproblem des Ostkirchenrechts und der Ostkirchen überhaupt ein: „Können alle alten Kanones heute als gültig angesehen werden?" Entsprechend dem traditionellen ostkirchlichen Verständnis muß diese Frage vorerst bejaht werden. Der Autor, Prof. Anastasiou aus Thessaloniki, bringt eine Fülle von Beispielen, wo eine derartige Bejahung zu grotesken Situationen führte, wo bei strikter Anwendung der alten Kanones ein Großteil etwa der griechischen Bevölkerung heute unter Kirchenstrafen stünde. Diese Erwägungen sind auch der Ausgangspunkt für einen weiteren Aufsatz über eine mögliche Kodifikation des orthodoxen Kirchenrechts, verfaßt vom Sekretär des derzeitigen ökumenischen Patriarchen, Archi-mandrit Archondonis aus Istanbul. Er zeigt darin sowohl ekklesiologi-sche als auch rechtstheoretische Probleme auf, die einerseits eine Kodifizierung wünschenswert erscheinen lassen, anderseits jedoch diese Arbeit sehr erschweren.

Prof. de Clercq aus Rom beschäftigt sich mit Aspekten des Sakra-mentenreehts in den alten Kanones und heute. Der katholisch-melkiti-sche Metropolit von Aleppo/Syrien, Neophytos Edelby, der am vatikanischen Konzil als Sprecher der katholischen Ostkirchen immer wieder in den Vordergrund trat, untersucht in seinem Beitrag den Anteil alter ostkirchlicher Traditionen an den Formulierungen des Konzilsdekrets über die katholischen Ostkirchen.

P. Alphons Kanjirathinkal aus Bangalore/Indien behandelt das Problem des alten Rechts in der Ma-labarischen Kirche Indiens, in der besonders viele Traditionen der Latinisierung, das heißt der Anpassung an lateinisches Recht und an westliche Traditionen, zum Opfer gefallen sind.

Über die Schwierigkeiten der Kodifizierung des armenisch-orthodoxen Kirchenrechts, die in den letzten Jahren immer wieder zu Unterbrechungen der Arbeit daran geführt haben, informiert Erzbischof Tiran Nersoyan. In die besondere Problematik des Kirchenrechts des Königreiches Griechenland führt Prof. Rodopoulos aus Thessaloniki ein, der den mühsamen Weg des Abbaus der aus der Zeit des bayerischen Königs stammenden, auf protestantische Vorbilder zurückgehenden, Verfassungen hinwies. Der aber auch zeigte, wie stark bei den modernen Kirchenverfassungen Griechenlands die Unterschiede zur alten Tradition sind.

Salib Sourial aus Gizeh/Ägypten stellt dar, wie die koptisch-orthodoxe Kirche das Problem der Kodifizierung eines Teiles ihres alten Rechts — nämlich das Personenrecht — bewältigt hat. Abba Paulos Tzadua aus Addis Abeba beschreibt die Bedeutung, die das alte Kirchenrechtsbuch, das Buch der Könige (Fetha Nagast), in der gegenwärtigen Praxis der Äthiopischen Kirche hat.

Der Sekretär der neuen päpstlichen Kommission für die Kodifikation des Ostkirchenrechts Rektor Ivan Zuzek untersucht kritisch den Anteil der alten Kanones an den bisherigen Teilkodiflkationen des katholischen Ostkirchenrechts.

Aus all diesen Arbeiten geht eines mit bemerkenswerter Deutlichkeit hervor: In einer Zeit, da in der lateinischen Kirche die rechtliche Dimension der Kirche als eines sozialen Gebildes stark in Frage gestellt wird, bemühen sich die Ostkirchen um ein neues und verbessertes Verständnis dieses rechtlichen Aspektes der Kirche als einer Gemeinschaft von Menschen.

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