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Literatur und Politik

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Walter Benjamin schrieb in seinem berühmten Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" (1936), daß der Faschismus die Ästhetisierung der Politik betreibe, worauf der Kommunismus mit der Politisierung der Kunst antworte. Ob diese These, nachdem der Sozialismus in den osteuropäischen Ländern jahrzehntelang real existiert hatte, noch haltbar ist, wurde beim diesjährigen Wal-ter-Buchebner-Symposion unter dem Titel „Machtwort -Wortmacht. Literatur und Politik in Mitteleuropa" am Beispiel von Ungarn, der CSFR und Slowenien diskutiert. Denn war es nicht vielmehr so, daß bis auf den faden sozialistischen Realismus keine Literatursorte die kommunistische Zensur passierte - und sei es „rrar" über Papierzuteilungen? Hat also im Stalinismus nicht ebenso wie im Faschismus eine Entpolitisie-rung der Literatur in der Weise Platz gegriffen, daß Schriftsteller nach einem Wort Bertolt Brechts entweder zu „Kopflan-gern der Politik" wurden oder sich in die innere Emigration flüchteten?

Nach dem Motto von Karl Kraus, daß eine Satire, die ein Zensor versteht, zu Recht verboten werde, ist sicherlich manches Subversive unbemerkt von den Parteifunktionären erschienen. Doch das kann ja nicht das angestrebte Verhältnis zwischen Literatur und Politik sein! Für Jozsef Bayer, Professor der Philosophie und Politikwissenschaft an der ungarischen Akademie der Wissenschaften, hat die Entpolitisierung in Ungarn erst nach 1956 begonnen. Davor hofften die Schriftsteller noch auf baldigen Systemwechsel. Nach dem Aufstand waren viele Autoren dann starken Repressalien ausgesetzt. Doch Bayer meinte auch, daß einigen Autoren die Entpolitisierung sogar entgegenkam. Sie verfaßten Bücher der sogenannten „Schönen Literatur", die der Staat großzügig unterstützte. Überhaupt war laut György Dalos, einem mittelweile international anerkannten Schriftsteller, die Situation grotesk. Denn er mußte zwar Angst haben, verhaftet zu werden, nicht aber zu verhungern. Denn für die Kommunisten war die Literatur ein Prestigeobjekt, das ebenso mit einem Fünf-Jahres-Plan bedacht wurde, wie die Wirtschaft.

Dalos scheint auch einer der wenigen osteuropäischen Autoren zu sein, die sich keinen Illusionen über die Zukunft hingeben. Persönlich hat er heute natürlich keine Angst mehr vor der Stapo, dafür umso mehr vor dem Finanzamt. Das Leben im staatlich geschützten Elfenbeinturm ist vorbei. Bemerkbar macht sich dies unter anderem in den Buchhandlungen. Waren dort früher viele belletristische Bücher nicht erhältlich, so sind sie heute bereits zu Ladenhütern geworden, die gegen die esoterische, astrologische, und last but not least erotische Literatur keine Chance haben.

Die entscheidenden Fragen mußten notwendigerweise offen bleiben: Ob eine Repolitisierung der osteuropäischen Literatur bevorsteht, und ob es zielführend ist, wenn Schriftsteller in die Politik gehen. Allgemein akzeptiert wurdf jedoch Eduard Goldstückers Ansicht, daß die Aufgabe der Intellektuellen mehr denn je darin bestehe, sich die Freiheit zum Nein unter allen Umständen zu bewahren.

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