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In einer Zeit, in der ein großer Teil der Jugend der Welt am liebsten aus der Geschichte und aus der „Tradition“, die zur übergroßen Last geworden scheint, „austreten“ möchte, haben es alle jene schwer, die das geistige Kontinuum der Überlieferungen nicht nur bewahren, sondern auch fortsetzen möchten. Das bekommen Vereinigungen und Gesellschaften zu spüren, die das geistige Erbe einer großen Persönlichkeit, die die Zeit vor uns mitgeprägt hat, verwalten, erneuern und weitertragen wollen. Sie müssen ihr Schiff zwischen der Scylla einer bloß verehrenden Gemeindehildung und der Charybdis einer oft hyperkritischen Einstellung zu dem, was sie ehren und bewahren wollen, hindurchsteuern. Dieses Schicksal beginnt sich bereits für die noch junge „Internationale Hofmannsthal-Gesellschaft“ abzuzeichnen. Sie will ja laut Satzung alle Unternehmungen fördern, „welche der Verbreitung und dem Verständnis des dichterischen Werkes Hugo von Hofmannsthals (1874—1929) dienen können.“

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In einer Zeit, in der ein großer Teil der Jugend der Welt am liebsten aus der Geschichte und aus der „Tradition“, die zur übergroßen Last geworden scheint, „austreten“ möchte, haben es alle jene schwer, die das geistige Kontinuum der Überlieferungen nicht nur bewahren, sondern auch fortsetzen möchten. Das bekommen Vereinigungen und Gesellschaften zu spüren, die das geistige Erbe einer großen Persönlichkeit, die die Zeit vor uns mitgeprägt hat, verwalten, erneuern und weitertragen wollen. Sie müssen ihr Schiff zwischen der Scylla einer bloß verehrenden Gemeindehildung und der Charybdis einer oft hyperkritischen Einstellung zu dem, was sie ehren und bewahren wollen, hindurchsteuern. Dieses Schicksal beginnt sich bereits für die noch junge „Internationale Hofmannsthal-Gesellschaft“ abzuzeichnen. Sie will ja laut Satzung alle Unternehmungen fördern, „welche der Verbreitung und dem Verständnis des dichterischen Werkes Hugo von Hofmannsthals (1874—1929) dienen können.“

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Ihre Mitglieder beschlossen 1968 bei der Gründungsversammlung in Frankfurt am Main, die nächste Tagung in der Geburtsstadt des Dichters abzuhalten. Dieses Meeting der Freunde, Kenner und Erforscher des Hofmannsthalschen Werkes, dessen kritische Gesamtausgabe eines der Hauptziele der Gesellschaft ist, fand vom 11. bis 13. Juni 1971 im Palais Palffy statt. An ihm nahmen etwa 200 Vertreter aus 15 Staaten teil. Seine feierliche Eröffnung vollzog sich im imperialen Prunksaal der Nationalbibliothek, die aus diesem Anlaß in einer von Dr. Franz Hadamowsky und Dr. Walter Ritzer vorbildlich gestalteten Ausstellung „Hugo von Hofmannsthal in der österreichischen Nationalbibliothek“ — sie bleibt bis zum 16. Oktober 1971 geöffnet — nicht nur ausgewählte Schätze aus den reichen Beständen ihrer Hofmannsthaliana, sondern auch den Zeithintergrund zwischen 1890 und 1930 präsentiert. Der langjährige Freund des Dichters, Max Mell, hat zu diesem Anlaß festliche Verse der Erinnerung an den Erwecker nicht nur der „österreichischen“, sondern auch der „europäischen Idee“ gewidmet.

Schon bei diesem feierlichen Akt der Eröffnung, den Sektionschef Dr. Karl Härtl in Vertretung des ‘n Brüssel weilenden Bundesministers für Unterricht und Kunst vomahm, ließ der Präsident der Internationalen Hofmannsthal-Gesellschaft, der Basler Ordinarius für Germanistik, Univ.-Prof. Dr. Martin Stern, ihre Problematik in dieser unserer kritischen, alles umwertenden Zeit anklingen, wenn er auf die Dialektik zwischen bloß verehrender Gemeinde der Freunde und Schätzer des Dichters und der notwendig kritisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Person und dem Werk des Dichters, dessen gesellschaftlicher Ort und literatursoziologischer Stellenwert neu bestimmt werden muß, vorsichtig hinwies.

Die Tagung selbst stand mit ihren drei Haupt- und acht parallel geschalteten Kurzreferaten, deren Diskussionen von Univ.-Prof. Dr. Margret Dietrich, der Ordinaria für Theaterwissenschaft, und Univ.-Prof. Dr. Herbert W. Seidler, dem Lehrstuhlinhaber für österreichische Literaturwissenschaft in Wien, standen, deutlich im Zeichen einer Germanistik, die sich zur Komparatistik hin geöffnet hat. Sie bezweckte zunächst, die Wirkung weltliterarischer Einflüsse auf Hofmannsthal und die Hofmannsthal-Forschung, die mittlerweile Bibliotheken gefüllt hat, als „Wirkungsgeschichte“ sichtbar zu machen. Wenn Univ.-Prof. Dr. Walter Naumann aus Darmstadt das Thema „Hofmannsthal und das siebzehnte Jahrhundert“ zu Beginn der Tagung behandelte und vor allem die Sprachproblematik des Dichters aus ihren frühbarocken und spanisch-französischen Wurzeln bis zur „abstrakten Sprache“ des Sigismund im „Turm“ akzentuierte, ohne allerdings die tiefen Sprachzweifel des Dichters im „Chandos-Brief“ mit zureflektieren und das merkwürdige Spannungsverhältnis zwischen dem Glauben an die Ratio und ihrem irrationalen Hintergrund, der dann im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert sichtbar wurde, zu berücksichtigen, so wurde man am Ende der Tagung mit der Problematik der literaturwissenschaftlichen Forschung über einen pichter als seiner „Wirkungsgeschichte“ in dem Referat Univ-Prof. Dr. Richard Exners von der amerikanischen Universität Santa Barbara konfrontiert. Sein Thema „Forschungsgeschichte als Wirkungsgeschichte: Zur neueren Literatur über Hofmannsthal“ erwies sich als hochbrisant, insofern es Gericht über den Stand der Literaturwissenschaft im allgemeinen und die neuere Hofmannsthal-Forschung im besonderen, wie sie sich zum Teil auch in den „Hofmanns- thal-Blättem“ äußert, hielt.

Besonders zu danken war dem Referenten für die Auseinandersetzung mit den teils ernsten, teils billigen Kritiken an Hofmannsthal, die Hans Mayer, Walter Jens, Marcel Reich-Ranicki und andere geübt haben, und seine Forderung, daß diese Tagung sich gerade mit ihnen und der sorgsam umschwiegenen Karl-Kraus-Kritik an seinem gleichaltrigen Zeitgenossen hätte auseinandersetzen müssen, bestand durchaus zu Recht. Instruktiv und für Nichtfachleute vielleicht ein wenig zu abstrakt waren die Referate über den Stand und die Editionsprinzipien der „Kritischen Ausgabe sämtlicher Werke Hugo von Hofmannsthals“ von Dr. Detlev Luders und Ernst Dietrich Eckhardt, aus denen hervorging, daß die kritische Ausgabe auf den Editionsprinzipien Beißners, ergänzt durch die Erfahrungen bei der Brentano-Ausgabe von Lüders, beruhen wird.

Die acht Kurzreferate, die vor zwei Zuhörergruppen gleichzeitig gehalten wurden, behandelten das Verhältnis Hofmannsthals zu Ibsen (Univ.-Prof. Dr. Brian Coghlan, Adelaide, Australien) und Skandinavien (ein wirkungs- und rezeptionsgeschichtlicher Beitrag von Michael Muhr, Wien) zu Maeterlinck (Univ.- Prof. Dr. Michel Vanhelleputte, Brüssel), zu d’Annunzio (Univ.-Dozent Dr. Friedbert Aspetsberger, Wien) und Wilde (Univ.-Prof. Dr. Eugene Weber, Harvard) sowie die Studie „Hofmannsthal und der Platonismus des Fin de siėcle“ (Univ.-Prof. Doktor Renė Breugelmans, Calgary, Kanada), die vor allem die ursprüngliche Beschäftigung des Dichters mit Platon von den gnostischen Neuplatonismen der Zeit (Stefan Georges und anderer) deutlich abhob. Für den Theaterwissenschaftler interessant waren die Beiträge von Leonhard M. Fiedler (Frankfurt) über „Hofmannsthal, Reinhardt und Moliėre“ (eine klug interpretierende Übersicht über Hofmannsthals zahlreiche Moliėre-Bearbeitungen für Reinhardt und Richard Strauss) und Dr. Günther Erken (München) über die Möglichkeiten einer völlig anderen „Rosenkavalier“-Inszene. Vor- und Nachteil dieser Kurzreferate war, daß sie in gedrängter Fülle Material komprimieren mußten und daß die Minimalzeiten von 10 bis 15 Minuten für die Diskussion sehr knapp bemessen war. Am wertvollsten neben dem Platonis- mus-Referat, weil die Brisanz der Auseinandersetzungen mit der sogenannten „konservativen Revolution“ zeigend, erschien dem Berichterstatter der streng ideologie-kritische Beitrag von Univ.-Dozent Doktor Aspetsberger, der auch den „präfaschistischen“ Wurzeln beider Dichter nachging. Hier hätte es wahrlich unter Einbeziehung der Broschschen Kritik an „Hugo von Hofmannsthal und seiner Zeit“ einer sehr ausführlichen Diskussion bedurft! Ebenso nach dem großartigen Hauptreferat von Univ.-Prof. Dr. Richard Exner, wo sie ebenfalls aus Zeitgründen bald beendet werden mußte.

Für die nächste Tagung — sie wird 1974 in Salzburg stattfinden und „Hugo von Hofmannsthal und Österreich“ zum sehr kritisch zu behandelnden Generalthema haben — ist eine Beschränkung der Referate und eine Erweiterung der Diskussionszeiten in richtigen Arbeitssitzungen unbedingt zu postulieren. Die Tagung laufen sonst Gefahr, zu bloßen germanistischen Veranstaltungen mit Spezialvorlesungen über ausgewählte Themen der Hofmannsthal- Forschung ohne kritische Selbstreflexion zu werden. Gerade sie aber tut bei einem Dichter not, dessen politischer und soziologischer Stellenwert für unsere Zeit ein völlig anderer als zu seinen Lebenszeiten ist. Die Literatursoziologie darf allerdings darüber die Einsicht nicht vergessen, daß alle kultur- und literatursoziologischen Befunde uns noch nichts über die rein ästhetischen Werte seiner Dichtung sagen können. Auch für sie gilt es, neu und in ihrer Gültigkeit für die Gegenwart zu bestimmen. Ein universaler Geist vom Range Hugo von Hofmannsthals und die Traditionen Österreichs können auch der kritischen Auseinandersetzung standhalten, gehört es doch zum Wesen der besten Österreicher aller Zeiten, dem Selbstzweifel und der Selbstkritik immer Raum gegeben zu haben. Je tiefer wir die Sonden der Kritik treiben, desto fündiger wird nicht nur das sagenhafte „Bergwerk von Falun“, sondern auch die Masse seines Lebenswerkes.

Am Rande bemerkt: Die Hofmannsthal-Gesellschaft hat gegenwärtig 627 Mitglieder und ist unseres Wissens die größte auf der Welt, die sich in den Dienst des Lebenswerkes eines Dichters des 20. Jahrhunderts stellt.

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