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Mülltonne nach dem Fest

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Ende Oktober, als im Wiener Volksgarten die Rosen noch in voller Blüte standen, wurden gegenüber im Rathauspark bereits die Eingänge mit Tannengrün geschmückt. So konnte man, die Ringstraße überquerend, von einer Jahreszeit in die nächste gehen.

Noch war das Laub nicht gefallen, da entstanden schon die Hüttchen des Christkindlmarkts, und alsbald verbreitete sich der starke Geruch von heißem Ol, der den Friteusen der Längos- und Pommes frites-Verkäufer entströmte. Tag für Tag nahmen die Zeichen und Signale zu, die uns ermahnten, die schwierige Pflicht des Geschenkebesorgens nicht länger hinauszuschieben. Die Straßen füllten sich mit Menschen, die langsam und dennoch voll Anspannung die Schaufenster prüften. Einer davon war man selbst.

Schließlich ist es auch diesmal wieder gelungen, Geschenke zu finden, und nun steht nur noch eine halbe Nacht emsigen Verpak-kens bevor. Falls nicht schon im Geschäft professionell und makellos durchgeführt — aber man kann dieses Service dankend ablehnen —, ist Päckchenmächen, Bänderknüpfen, Kärtchenschrei-ben eine Tätigkeit, an die viel weihnachtliche Sorgfalt gewendet werden kann. Das Eigenhändige daran ist wohl ein letzter kleiner Rest eines persönlichen Beitrags, einer schlichten Zuwendung an die Adressaten der Geschenke. Umgeben von glänzenden Papierbögen und von goldenen und silbernen Schnüren kann Weihnachtsstimmung aufkommen.

Weihnachtsstimmung - selbst der Weg zur Mülltonne nach dem Fest ist zart mit grünen Nadeln bestreut. Die Tonne selbst ist bis zum Uberquellen überfüllt: Festesabfall, noch frisch, noch nicht von der Verrottung angerührt, in seiner sinnlichen Buntheit an ein

Stilleben erinnernd, das sich über den theatralisch aufgespreizten Deckel der schwarzen Mülltonne ergießt.

Glänzendes Papier, das erst vor Stunden mit Mühe um Pakete gelegt worden war, gelockte, glitzernde Bänder, attraktive Kartons und all das Durcheinander, das sich der flüchtigen Betrachtung nicht zu erkennen gibt, liegt wie sperriger Schaum über den tieferen Schichten des Abfalls, von den kräftigen grünen Hälsen der Sektflaschen und den schlanker gekurvten der Weißweinbou-teillen durchstoßen. Tief unten ahnen wir die Abfälle des rituellen Festmahles, die Knochen der Weihnachtsgans und die Gräten des Weihnachtskarpfens, verbunden mit allem, was Küchen von sich geben.

Auf dem Weg zur Mülltonne liegen Tannennadeln. Sollte jemand bereits seinen Christbaum weggeworfen haben, kaum daß die Kerzen darauf ein einziges Mal brannten? Und nun lehnt er beim Abfall mit Resten des Flitters an den Zweigen? „Die Indezenz des Mülls ist nicht weniger pathetisch als die falsche Ewigkeit des Museums“, sagt Octavio Paz.

Tritt man dann tatsächlich, beladen mit den eigenen Wegwerfdingen, an die dunklen Eimer heran, deren befürchtete Uberfüllung sich bestätigt, ist ratloses Verweilen unvermeidbar. Monströse Ausscheidungsprodukte der Konsumgesellschaft verstellen den Weg. Nicht das anonyme Stilleben vergangener Festesfreude liegt vor uns, sondern die indiskrete Aufforderung zu nonverbaler Kommunikation.

Die sich türmenden Gehäuse der Schenkungsobjekte enthüllen eine Privatheit, die sonst hinter Türen und Gardinen verborgen ist. Unbeabsichtigt wird man zum Voyeur: Die einen Nachbarn haben offensichtlich einen Schiurlaub vor. Die anderen haben endlich einen Staubsauger bekommen und brauchen sich daher den meinigen nicht mehr auszuborgen. Die häßliche Küchenlampe von gegenüber liegt erfreulicherweise auch beim Müll — das Christkind hat eine neue gebracht.

Den komischen Jogginganzug wird man vermutlich bald zu sehen bekommen, er kann nur dem sportlichen Herrn vom 2. Stock gehören. Und wer hat wohl seiner Frau dieses verwegene Nachthemd geschenkt? Daß die Leute sich diese teuren Kameras leisten können und den Videorecorder und den Mikrowellenherd! Nun werden sie alle damit beschäftigt sein, Gebrauchsanweisungen zu studieren. Die herzigen Mäderln vom Hochparterre freuen sich hoffentlich über die neuen Kinderzimmermöbel, deren riesige Kartons hier lehnen.

Schließlich stellt man seinen eigenen Abfall zu dem der Hausgenossen, an deren Weihnachtsgeschehen man vermittels der Trivialität der Emballagen Anteil genommen hat. Die Müllabfuhr wird eine Sonderschicht einlegen müssen. Doch allen Schenkenden sei Zufriedenheit und allen Beschenkten Freude mit ihren Geschenken gewünscht.

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