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Musisch? Nein, danke!

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Der 11. Schulorganisationsge-setznovelle, die eben ausgearbeitet wird und voraussichtlich im Schuljahr 1990/91 in Kraft treten soll, werden recht unterschiedliche Erwartungen entgegengebracht.

Einem Parteienübereinkommen zufolge darf die Stundenbelastung für die Schüler nicht erhöht werden. Um dennoch etwas an der Qualität und Effektivität des Unterrichts zu verbessern,

muß man eine Veränderung der bestehenden Struktur ins Auge fassen. Das wird so aussehen, daß Schüler der Oberstufe der Allgemeinbildenden Höheren Schulen neben den unveränderten Pflichtgegenständen je nach Schultyp acht bis zwölf Wochenstunden unter den sogenannten Wahlpflichtfächern frei wählen können. Dazu gehören die jeweils typenbildenden Gegenstände sowie die musischen Fächer.

Die Möglichkeit, daß ein Schüler in die Lage versetzt wird, bereits so früh für sich einen Schwerpunkt seiner Lerninteressen zu bestimmen, hat einiges für sich. Ganz sicher trägt diese Möglichkeit zur Förderung der persönlichen Fähigkeiten bei, zudem erfordert die Entscheidung für eine bestimmte Akzentsetzung des Unterrichts mehr Flexibilität und fördert die Fähigkeit, Lebensfragen selbständig zu überlegen.

Es ist allerdings zu befürchten, daß bei der Wahl der Fächer nicht die individuellen Interessen im Vordergrund stehen werden, sondern rein praktische Überlegungen schulischer Nützlichkeit.

Ein Lehrer, der ein Pflichtfach (mit Schularbeiten) unterrichtet, hat möglicherweise in einem Wahlpflichtfach mehr Zulauf als ein Zeichen- oder ein Musiklehrer, in dessen Unterricht eben nur bildnerische oder musikalische Kenntnisse erworben werden. Lehrer der Wahlpflichtfächer werden unter solchen Bedingungen gezwungen sein, die Schüler mehr als bisher von der Wichtigkeit ihres Unterrichtsfaches zu überzeugen. Ein weiterer Aspekt der zu erwartenden Veränderung also, daß Lehrer untereinander in Konkurrenz treten.

Besonders besorgt sind die Lehrer der musischen Fächer. Ihnen droht nämlich eine Reduzierung ihrer ohnehin geringen Stundenanzahl - trotz gegenteiliger Zusagen des früheren Unterrichtsministers Herbert Moritz. Noch schwerer wiegt für Fachvertreter aber die Tatsache, daß sich Schüler aufgrund der vorgesehenen Novellierung des Gesetzes ab der sechsten Klasse zugunsten anderer Fächer gegen jede musische Erziehung entscheiden können.

Derzeit besteht ab der siebenten Klasse die Wahl zwischen Bildnerischer und Musik-Erziehung. Der Stellenwert der musischen Fächer, der ja nicht eben hoch ist, wird nun zweifellos weiter geschmälert, und es besteht die berechtigte Sorge, daß die musische Erziehung aus dem Schulsystem allmählich wegrationalisiert wird. Die „Kunstgegenstände“ finden ohnehin schwierigere Bedingungen vor, weil sie von ihrer Aufgabe her gänzlich aus dem Leistungsschema herausfallen. Ihre Daseinsberechtigung durch die Möglichkeit, sich ganz von ihnen zu dispensieren, zu untergraben, ist kein guter Dienst an der Jugend.

Wo bleibt das Bewußtsein von der, Notwendigkeit schöpferischer Kräfte für die Lebensbewältigung, für den Arbeitsprozeß und für unsere gesamte Umweltsituation? Derartige Überlegungen dürfen bei der Entscheidung über die endgültige Fassung der 11. Schulorganisationsgesetzno-velle nicht unberücksichtigt bleiben.

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