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Narziß oder die Verdrängung der Frau

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Eine wahre Fundgrube für psychoanalytisch geschulte Kunstinteressierte ist die Edvard-Munch-Retrospektive, die im Grazer Künstlerhaus eröffnet worden ist. Die größte Munch-Schau, die je in Osterreich zu sehen war, und das in der sogenannten Provinz Graz. Wien schaut zu.

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Eine wahre Fundgrube für psychoanalytisch geschulte Kunstinteressierte ist die Edvard-Munch-Retrospektive, die im Grazer Künstlerhaus eröffnet worden ist. Die größte Munch-Schau, die je in Osterreich zu sehen war, und das in der sogenannten Provinz Graz. Wien schaut zu.

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Fast das gesamte graphische Werk und die meisten Aquarelle von Edvard Münch sind da, scheinbar willkürlich aneinandergereiht, ohne sogenannte Schwerpunkte. Und doch, diese Aus-

dieser Atmosphäre begann Münch zu malen - ein bürgerlicher Arztsohn, der den Vorstellungen seines Vaters nie gerecht wurde, ein kränkelnder, verschrobener Romantiker. Die Natura-

Stellung vermittelt wie kaum eine andere inhaltliche Bezüge, Zusammenhänge zwischen dem Menschen und dem Künstler Münch. Der Neurotiker, geplagt von Ängsten, Existenzbedrohungen, Krankheitsvisionen, und Münch, der Maler, der seine eigene Problematik visuell umsetzt und damit zu einem Symptom für eine ganze Gesellschaft stilisiert.

Begonnen hat Münchs Karriere in dem Klub „Boheme von Christiania“, Eine Gruppe von jungen Männern und Frauen, die über Literatur, Malerei und Politik diskutierten. Eine Gruppe sozialromantischer Anarchisten, die zui Schreckensavantgarde der norwegischen- Hauptstadt wurden. Skandalmacher und Randalierer sozusagen. In

listen beherrschten damals noch mit platten, mechanistischen sozialkritischen Bildern die Kunstszene. Münch ging über sie hinaus, kratzte am oberflächlichen Engagement, suchte nach psychischen, subjektiven Elementen, was auch seiner narzißtischen, eigene Probleme atisierenden Veranlagung entsprach. Seine starke, frustrierende Mutterbeziehung, die sich zu einer Angst vor Frauen ausdehnte, seine Situation als Kranker, von der Familie Verstoßener; all das versuchte Münch zu thematisieren. Mit radikal neuen Mitteln.

Immer wieder - und das ist auch das verbindende Element der Grazer Ausstellung - tauchen Frauen in leinen Bildern auf. Böse, raffinierte, alles verschlingende Frauen, wie etwa in dem berühmten Bild „Vampir“ oder im Holzschnitt „Männerkopf im Frauenhaar“. Oft wiederholt sich dieselbe Grundsituation; ein gebrochener, ausgemergelter Mann, die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen, als wolle er sich schützen, und daneben oder dahinter eine kraftstrotzende Frau, „ein blutsaugender Dämon“, die den Mann vergewaltigt, leersaugt, zerstört. Die Frau als Dirne, als Harpyie, dann wieder die idealisierte Frau, die schöne, unantastbare Königin, der man sich zu Füßen werfen muß - die Parallelen zu Strindberg sind unübersehbar. Ein Schwanken zwischen zwei Extremen, das sich durch die gesamte Kunstgeschichte hindurchzog. . Das alles setzt Münch um, in stark kontrastierenden Holzschnitten, in ei-, ner seltsamen Linearität, die immer wieder unterbrochen wird, neu ansetzt, verflacht, verdämmert. Reduzierung auf den Ausdruck, auf die Expression des Seelischen, auf verinner-lichte Ängste, die in Körperhaltungen, Bücken, Bewegungen sich manifestieren. Die Morbidität, die Sehnsuchl nach dem Tod als Ausfluß eines gekränkten Narzißmus, die Mystifizierung der Krankheit und der Angst. Die Symptomatik einer Gesellschaft.

Manchmal, fast unmerklich, gibt es Anflüge von Zärtlichkeit, von einer melancholischen Sinnlichkeit, die sich nicht freispielen kann, in Trauer verebbt Wie etwa in dem Bild „Der Kuß“, das in Graz in mehreren Versionen zu sehen ist Hier wird noch einmal der

narzißtische Traum der Vereinigung oder der Vereinnahmung zweier Körper geträumt, das Ideal der absoluten Einheit. _ '^E9

Diese Bezüge vermittelt die Grazer Ausstellung auf direktem Weg, durch einfaches Präsentieren von ähnlichen Inhalten, von immer wiederkehrenden bildlichen Motiven. Und man versteht Münch, begreift ihn in seinem gesellschaftlichen und kunstimmanenten Kontext.

Modern Art Galerie (Köllnerhof-gasse 6, bis 18. April): Dem Steirer Friedrich Panzer hat man eine Retrospektive gewidmet. Panzer, kürzlich aus Kalifornien zurückgekehrt, begann gegenständlich; fast architektonisch setzte er seine Bilder zusammen, überall dominierte Rot. In Amerika hat er sich gelöst, hat die Form gesprengt, ist immer mehr zur Abstrahierung gekommen, zum flächenhaften Auflösen von Konturen, zur reinen Malerei. Besonders die Amerikabilder - Darstellungen von kalifornischen Landschaften - dokumentieren diese Entwicklung. Eine didaktisch interessante Schau.

Galerie Contact (Mahlerstraße 7, bis 18. April): Herbert Breiter ist mit Stilleben und Landschaften vertreten. Mystische, fast unbewegliche griechische Landschaften in grauen, traurigen Farben. Kein Schein von südländischer Leichtlebigkeit bleibt mehr. Das Ganze wirkt wie eine Beschwörung des Todes, vermittelt fast unheimliche Stimmungen.

Galerie am Graben (Graben 7, bis 22. April): Acht Temperamente - acht bundesdeutsche Keramiker stellen aus. Gebrauchsobjekte, Vasen, Trinkgefäße. In der Tendenz eine Rückkehr zu schlichten, fast archaischen Formen, zur Sprache des Materials. Klare Linien, strenge Formen, die Verdrängung des Ornaments. Die Objekte beeindrucken, entwickeln ein Eigenleben, sind mehr als Handwerk oder Gebrauchskunst.

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