7022267-1988_49_12.jpg
Digital In Arbeit

Neinsager und Widerständler

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht jeder, der vorgegebene Normen ablehnt und sich dabei auf sein Gewissen beruft, ist glaubwürdig. Jene Menschen, die mit ihrem Leben und oft gegen eine überwältigende Mehrheit von Gegnern für ihre Uberzeugung eingestanden sind, verdienen aber sicher höchsten Respekt.

Ein Beispiel aus grauer Vorzeit — vom griechischen Dramatiker Sophokles unnachahmlich in Dichtung gefaßt - ist die thebani-sche Königstochter Antigone. Gegen die Weisung des Königs begräbt sie ihren Bruder, den als Landesverräter verfemten Poly-neikes, und erfüllt damit das Gebot der Götter. „Länger muß ich den UntenVals den Menschen hier gefallen“, sagt sie und nimmt bewußt das Todesurteil auf sich.

Ihre Rechtfertigung gegenüber König Kreon ist beispielhaft für eine vom Gewissen bestimmte Haltung: „So groß schien dein Befehl mir nicht, der sterbliche, daß er die ungeschriebnen Gottgebote, die wandellosen, konnte übertreffen.“

Im Dilemma zwischen religiöser Uberzeugung und Staatsräson entschied sich auch der englische

„In diesem Einklang danke ich dem Herrn, daß ich ganz sicher bin“

Humanist Thomas Morus für seinen Glauben. Er fiel bei König Heinrich VIII. in Ungnade, weil er dessen zweite Heirat ebenso mißbilligte wie die Schaffung der von Rom getrennten Kirche von England mit dem König an der Spitze. Nach einem abgekarteten Hochverratsprozeß wurde der romtreue ehemalige Staatskanzler am 6. Juli 1535 durch das Beil hingerichtet.

Morus, der 1935 heiliggesprochen wurde, brachte seine Uberzeugung mit folgenden Worten zum Ausdruck: „So wenig ich mich in das Gewissen anderer einmische, so sicher bin ich, daß mein Gewissen mir allein gehört. Es ist das Letzte, was ein Mensch tun kann für sein Heil, daß er mit sich eins wird. Kommt er in Gefahr, so ist er verpflichtet, sein Gewissen zu prüfen und Rat einzuholen und je nach seiner Einsicht sein Gewissen umzuformen. Danach aber steht er sicher genug vor Gott. In diesem Einklang mit meinem Heil glaube ich zu stehen, dafür danke ich dem Herrn, daß ich ganz sicher bin.“

Menschen, die ihrer religiösen Uberzeugung bis zum Tod treu geblieben sind und dafür Leid, Verfolgung und Folter auf sich genommen haben, hat es immer gegeben. Ihr Gewissen ließ es nicht zu, sich bei auftauchenden Schwierigkeiten aus der Affäre zu ziehen und zu versuchen, glimpflich davonzukommen.

Franz Jägerstätter, der Bauer aus St. Radegund in Oberösterreich, keineswegs totaler Pazifist, wie es heute manchmal den Anschein hat, aber fest entschlossen, nicht in Adolf Hitlers Wehrmacht zu dienen, ist längst weithin be- ' kannt. Was weniger bekannt ist: Geistliche bis zum Bischof von Linz versuchten dem 1943 hingerichteten Innviertier seinen Widerstand auszureden und sein Gewissen „umzubilden“. War es denn „verbildet“?

Sagte Jägerstätter nur „Nein“ zum Anschluß Österreichs an Hitler-Deutschland und zum Kriegsdienst für ein gottloses Regime, so trieb andere ihr Gewissen zum aktiven Widerstand. Dieser reichte von Flugblättern, wie sie die „Weiße Rose“ mit den Geschwistern Hans und Sophie Scholl an der Spitze in Umlauf brachte, bis zur Bombe des Claus von Staufenberg am 20. Juli 1944.

Hingerichtet wurden alle: Jägerstätter, die Geschwister Scholl und Gleichgesinnte und natürlich auch die Männer des 20. Juli, die sich erst nach langen inneren Kämpfen zum Umsturz und Tyrannenmord entschlossen: Claus von Stauffenberg, Karl F. Goer-deler, Helmut J. von Moltke, Erwin von Witzleben und andere.

Zu aktivem Vorgehen gegen Mißstände, die andere betreffen, raffen sich im allgemeinen nur wenige auf. Dazu bedarf es einer gehörigen Portion an „Zivilcourage“. In diese Kategorie gehört sicher der russische Bürgerrechtskämpfer und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow, den auch die Verbannung nach Gorki und viele Schikanen nicht brechen konnten.

Einen Ehrenplatz verdient hier auch der französische Schriftsteller Emile Zola, der sich 1898 mit seinem berühmten Artikel „J'accuse“ (Ich klage an) für den

„Ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage innerhalb der Kirche“ schuldlos als Spion auf die Teufelsinsel geschickten Hauptmann Alfred Dreyfus einsetzte und ein böses Intrigenspiel in der französischen Armee gegen den Juden Dreyfus aufdeckte.

Antisemitismus und die verbreitete Meinung, jede Kritik an der Armee sei Hochverrat, ließen Zolas Kampf für eine Rehabilitierung von Dreyfus zu einem Spießrutenlauf ohnegleichen werden. Weder Zola noch der Offizier Georges Picquart, der mit Dreyfus entlastendem Material gegen den Willen seiner Vorgesetzten die Dreyfus-Affäre neu ins Rollen brachte, hätten diesen Einsatz nötig gehabt.

Noch schwerer taten sich jene, die innerhalb der Kirche—und sogar gegenüber dem päpstlichen Lehramt — Zivilcourage zeigten. Ein leuchtendes Beispiel auf diesem Gebiet ist der Jesuit Friedrich von Spee, der sich mit der von höchster Stelle — Bulle „Summis desiderantes affectibus“ Innozenz' VIII. (1484) - gebilligten Hexenverfolgung nicht abfand und mit dem zuerst anonym veröffentlichten Buch „Cautio criminalis“ (1631) den Hexenwahn, dem damals Tausende Menschen - vorwiegend Frauen — zum Opfer fielen, zerpflückte. Spee war einer von ganz wenigen, die aufgrund solcher Äußerungen selbst mit Verfolgung, Folter und Scheiterhaufen rechnen mußten.

Friedrich von Spee, 1635 an der Pest gestorben, ist weit weniger bekannt, als er es verdiente. Er war auch Dichter, und eines seiner Lieder ist gerade in diesen Tagen höchst aktuell: „O Heiland, reiß die Himmel auf!“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung