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Neu evangelisieren - aber wie?

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Der päpstliche Aufruf zur „Neuevangelisierung" beherrscht derzeit das Gespräch in der römischkatholischen Kirche. Jüngstes Beispiel: die diesjährige Missionsstudientagung zum Thema „Die Bibel und die Neue Evangelisierung" in St. Gabriel bei Wien.

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Der päpstliche Aufruf zur „Neuevangelisierung" beherrscht derzeit das Gespräch in der römischkatholischen Kirche. Jüngstes Beispiel: die diesjährige Missionsstudientagung zum Thema „Die Bibel und die Neue Evangelisierung" in St. Gabriel bei Wien.

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Daß die Missionsstudientagung 1991 schon sehr im Zeichen von „500 Jahre danach" (nämlich nach 1492, als Christoph Kolumbus Amerika betrat) stand, war kein Zufall. Denn in Lateinamerika ist der Begriff „Neue Evangelisierung" zuerst aufgetaucht - 1968 in Medellin auf der Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe. Johannes Paul II. hat den Auftrag zur Neuen Evangelisierung seit 1979 zunehmend betont, auch in seiner Botschaft an die Versammlung der Katholischen Bibelföderation in Bogota im Juni 1990: „Die Besinnung auf die Bibel im Hinblick auf die Neue Evangelisierung wird immer wichtiger für eine Erneuerung der Verkündigung des Wortes Gottes, der Guten Nachricht von der Erlösung."

Der deutsche Theologe Tiemo Rainer Peters sprach in St. Gabriel von einerchristlichen Grundstimmung, die zwischen Triumph und Selbstzweifel schwanke. Der Aufruf zur Neuen Evangelisierung habe angesichts einerweltweiten Schwächung derchrist-lichen Religion „etwas von einem letzten Aufgebot", es gebe aber auch „behutsam triumphierende Stellungnahmen zum Ende des Realsozialismus und die Tatsache, daß man kirchli-cherseits schon wiederden Zeigefinger erhebt und erneut das Evangelium einklagt - so als sei nicht auch die Kirche selbst, strukturell und amtlich, durch die Art ihrer Evangelisierung vor 500 Jahren und ihrer Christentumspraxis heute ursächlich beteiligt und schuld an der kirchlichen Krise".

Die Evangelisierung könne nur unter bestimmten Voraussetzungen „beginnen und gelingen", betonte Peters, nämlich, wenn man den ersten Grundsatz befolge, den Emmanuel Levinas nach Auschwitz seiner Philosophie vorangestellt habe: „Du darfst mich nicht töten!" Peters: „Ohne ihn erfüllt zu haben, fiele die gesamte universale Liebesethik und Barmherzigkeitskultur, die vom Evangelium auszugehen vermag, dröhnend ins Leere."

Peters äußerte den „Verdacht, dies sei nicht nur 1492 geschehen, sondern wiederhole sich heute, da eine weithin saturierte westliche Christenheit sich für eine neue Evangelisierung rüstet und zugleich ignoriert, wie die Armen weltweit sterben, weil der reiche Westen fortfährt, seinen Luxus auch 1992 noch auf ihrem Rücken zu begründen". Nach Meinung des Münstcraner Fundamentaltheologen könne die Neue Evangelisierung „losgelöst von der alten und ihrer Folgegeschichte nur scheitern".

Peters warnte vor jener „konstantinischen Befangenheit", Christentum mit Macht zu assoziieren und einen „Siegermythos wie selbstverständlich in das Evangelium" hineinzulesen. Vielmehr sei „Gottes Allianz mit dem Opfer" zu verkündigen: „Neuevangelisierung, die nicht schon im Ansatz verfehlt sein soll, ist Neuentdek-kung des Evangeliums von Unten, an der Seite der Anderen, der Fremden."

Fundamentalismus-Vorstoß

Zur konkreten Lage in Lateinamerika sprach Florencio Galindo (Katholische Bibelföderation, Stuttgart). Der Kolumbianer sieht zwei Modelle einer Neuen Evangelisierung. Das eine liege dem Projekt „Evangelisierung 2000" zugrunde - es beinhalte Religiosität nach altem Muster, das Neue daran sei nur der Einsatz modernster Kommunikationsmittel. Fürdauerhafte Evangelisierung bevorzugt Galindo das andere - pastorale Arbeit mit bescheidenen Mitteln im Sinn der Option für die Armen. Dieses Modell habe seine theologische Basis in der Praxis Jesu, den Armen die Frohe Botschaft zu vermitteln. Ähnlich klang es vom Wiener Pastoraltheologen Paul Zulehner: Gott gehe dort mit, „wo

Menschen auf die Schattenseite des Lebens geraten sind", „Indoktrina-tionsmodelle" seien überholt.

„Wenn die Kirche die Religion des lateinamerikanischen Volkes nicht neu interpretiert, so wird ein Vakuum entstehen, das die Sekten, verweltlichter politischer Messianismus und Konsumdenken ausfüllen." Das stand schon 1979 in den Dokumenten der Vollversammlung lateinamerikanischer Bischöfe in Puebla. Inzwischen haben, wie Galindo berichtete, neue religiöse Gruppen enorm an Boden gewonnen. Schon 1986 haben sich etwa 10.000Katholiken pro Tag einer anderen Glaubensgemeinschaft angeschlossen. Gehört heute schon mehr als ein Achtel der Lateinamerikaner nicht mehr der katholischen Kirche an, so wird es um Jahrtausendwende vermutlich fast ein Viertel sein.

Kern des Problems ist der Funda-mentalismusevangelikal-protestanti-scher Gruppen, der sich besonders in wortwörtlicher Interpretation der Bibel und dem Anspruch auf deren Unfehlbarkeit äußert. Verbreitet ist eine Frontstellung gegen alles Katholische und Hispanische und ein unkritisches Hinnehmen der sozio-ökono-mischen und politischen Strukturen Lateinamerikas. Die Aktionen dieser Gruppen laufen - so Galindo - mit den politischen Strategien „der Streitkräfte des Kontinents unter der Führung der nordamerikanischen" parallel.

Für verstärkte Bemühungen um Inkulturation und den Dialog der Religionen trat der indische Priester Paul Puthanangady ein. Die Rolle der katholischen Kirche sieht er so: „Sie muß die Welt davon überzeugen, daß sie von Jesus Christus gesandt wurde, nicht um zu zerstören, sondern um zu errichten, nicht um zu beseitigen, sondern um zur Entfaltung zu bringen all das, was der Gott der Liebe der Menschheit geschenkt hat."

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