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Nostalgisches über die Weltrevolution

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In Zeiten wie diesen” hat es auch die marxistisch-leninistische Theorie schwer. Wo ist sie, außer in Tirana, noch ihrer selbst gewiß und unangefochten? Antwortet sie denn angemessen auf die globalen Krisen? Wie steht es um das einstige Nah- und jetzige Fernziel Kommunismus angesichts der Grenzen des Wachstums?

Auf dem 26. Parteitag der KPdSU im Februar/März 1981 hat Breschnew die Revision des visionären Programms von 1961 verfügt. Da liegt es nahe, sich des Beginns zu vergewissern, der großen Heldenzeit und ihrer göttergleichen Recken.

Wolf gang Leonhard hat sich an die Arbeit gemacht; der Einlei-tungsband liegt mit 415 Seiten über die ersten fünf Jahre — 1919 bis 1924 — der Kommunistischen Internationale (Komintern) vor. Leonhard wollte nicht noch einmal — nach respektablen Vorgängern — das Epos der Komintern in der Art einer Faktengeschichte schreiben. Er läßt das Heldenlied aus den Berichten, Darstellungen, Erinnerungen und Autobiographien der Beteiligten erstehen.

Einige der Ausgrabungen Leonhards sind gerade in letzter Zeit wieder zur Gänze neu herausgegeben worden. Andere gewichtige Stimmen fehlen. Die Akteure, die Augenzeugen kommen zu Wort, aus der Masse ihrer Zeugenschaft soll mit einer Fülle von Zitatschnipseln in impressionistischer Unmittelbarkeit ein lebendes Bild jener Jahre Zustandekommen.

Menschen, Aktionen, über-schwängliche Gefühle und Hoffnungen anstelle ideologischen Gezänks, ergrauender Theorie, bombastischer „Lehrgebäude”. Der weltrevolutionäre Rausch glüht in den Bekundungen des Anfangs, doch auch Leonhard möchte begeistern, für die Sache einnehmen, den Rückschlägen und bitteren Enttäuschungen zum Trotz.

Am schwersten wiegt aber doch wohl, daß die Realität durch das Anekdoten-Sammelsurium bloß durchscheint. Da gibt es Hunger und andere schlimme Not, doch vor lauter Adoration der Revolutionsmacher und Weltrevolutionsphantasten werden die Ursachen und Folgen nicht deutlich, die Verursacher und ihre Opfer nicht kenntlich.

Karl May, nicht Karl Marx, Nostalgie nach den Cowboy- oder besser Kosakenzeiten der Komintern als darstellendes Prinzip läßt Scharen selbstloser Heilstäter erstehen, die — zunächst — nichts als Weltbeglückung im Sinn haben. Bekanntlich bekamen die Völker, die Polen, Ukrainer, Georgier usf., anderes zu hören und zu fühlen (woran fortan immerzu andere die Schuld tragen).

Die Putschversuche werden mit Feuer geschildert, voller Bedauern, daß sie in Moskau maßlos überschätzt wurden, miserabel organisiert waren und schiefgingen. Wie würde es aufgenommen, sollten die „Erhebungen” von rechts jener Zeit mit derselben naiven Entflammtheit gemalt werden?

Oberflächlich genommen, als Lesefutter konsumiert, bringt das Buch scheinbar eine Verlebendigung der Komintern-Anfänge, eine Auflösung in individuelle Erfahrungen, Schicksalshäppchen, Stories. Leonhards romantisches Engagement macht daraus eine Abfolge von Abenteuergeschichten, bei welcher Märtyrerkrone und Heiligenschein nicht fehlen.

Das Beispiel, wie man so sagt, machte Schule: Was zur Weltrevolution werden sollte, waren die Aktivitäten von Anschlußtätern, deren Beutegier sich am Exempel Sowjetrußland - von dem sie sich gern täuschen ließen — stärkte.

„Wir fühlten uns im Besitz der Welt, als wir die Tore des Kremls durchschritten und von roten Soldaten begrüßt wurden”, so der

Engländer John Murphy im Rückblick auf den zweiten Kominternkongreß. Zitiert wird heutzutage aber stets: „Und heute (ge)hört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt...”.

Taumel und Habgier-Messia-nismus hier wie dort. Den Unterschied macht die so oder so betörende und enthemmende Phraseologie. Wer den Rausch und später das Kalkül der Vertuschungsphrasen nicht mitmacht, wird seither beschimpft und verfolgt.

Uber die „Kämpfer für die neue Gesellschaft” ragt aus den Zitaten, in denen Lenin angehimmelt wird (Chang Kuo-tao: „Ich betrachte ihn wie einen, der die Reinheit eines religiösen Ordens vertritt”), und mit Leonhards eigenem Hohelied der Diktator, der Hauptverantwortliche hinaus -als die makellose Inkarnation der Selbstlosigkeit, Bescheidenheit, Einfachheit und Natürlichkeit, als der immer offen Lernwillige und stets gütige Lehrer.

Das Äußerliche, Lenins Verhalten unter Kommunisten, wird zu seinem Wesen verklärt. Die Kompensation der Selbstlosigkeit, die in der Macht, in der — fragwürdigen —Allmacht der letzten Autorität liegt, bleibt unberührt. Auf Lenin fällt kein Schatten. Sein sogenanntes „Testament”, sein Wille zu drastischen Kursänderungen sollen die unverantwortliche Machtergreifung und das fürchterliche Scheitern aufwiegen.

Haben diese seine letzten Verfügungen etwas bewirkt? Leonhard denkt sich eine Alternative aus. „Vielleicht wäre ein Lenin dazu fähig gewesen.” Also, wenn nur nicht Lenin, der gute Herrscher, der leibhaftige Kitsch-Messias, so früh gestorben wäre.

„Aber Lenin lebte nicht mehr.” Die junge Sowjetmacht und die Komintern waren verwaist, sie hatten mit ihrem Hirn ihren Vater verloren. Ob er in seinem Glassarg nur schläft, um in der Zeit höchster Not wiederzukehren?

Zweimal stellt Leonhard einen weiteren Band in Aussicht Es soll also weitergehen mit Formulierungen der Art: „das vom Bürgerkrieg eingeschlossene Sowjetrußland”, „die Schwäche der ausländischen Delegationen war der Grundstein für die zunehmende intellektuelle und später auch politische Vorherrschaft der Russen”; geschildert werde „die Entwicklung jenes Moskauer Hotels, in dem die führenden Funktionäre der Komintern gelebt haben”.

Die böse Zeit der unwürdigen Erben wird zu durchleiden sein. Doch fällt denn nicht seit Lenins Tagen das milde Licht des guten Herrschers auf seine Nachfolger und Satrapen, auf wohlmeinende Landesväter, die allein von äußeren Feinden, widrigen Umständen, windigen Rivalen oder „Falken” an ihrem Friedenswirken gehindert werden?

Da mag es tröstlich stimmen, daß Bertelsmann an solchen Büchern zu verdienen gedenkt und nicht ein Volkseigener Betrieb damit Devisen besorgt. Wer würde freilich den ersten Band kaufen, würde gleich gesagt, daß es vier Bände werden sollen?

VOLKER HORT DIE SIGNALE. Die Anfänge des Weltkommunismus. Von Wolfgang Leonhard. C. Bertelsmann Verlag, München 1981. 428 Seiten, Ln., öS 302,50.

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