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Ohne Dichtung

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Die Zeiten sind vergangen, in denen Thomas Mann, in einer dunklen Zeit deutscher Geschichte, nur für die Welt „draußen“ die Repräsentanz deutschen Geistes war, bewundernswert in seiner moralischen Größe. Auch jene, die vor 1945 von der Welt „draußen“ abgeschnitten waren, sehen ihn heute in diesem Rang. Damals aber, 1945, wirkten seine zu den Deutschen gesprochenen Worte oft verletzend, denn sie trafen Menschen, deren Wissen der Zeitgeschichte viele weiße Flecke aufwies und die als Angehörige intellektueller Berufe durch die Tätigkeitsverbote der Alliierten weitgehend vor dem Nichts standen. In dieser Zeitsituation wurde Frank Thieß, sich gegen Thomas Mann wendend, zum Sprecher einer inneren Emigration. „Die Angriffe, Falschheiten, Dummheiten ermüden mich wie schwere Arbeit“, notierte Thomas Mann in sein Tagebuch, und an seinen Verleger Bermann-Fischer schrieb er am 21. September 1945: „Als ob ich nicht den ehrlichsten Respekt hätte vor denen, die dagebliebenen sind und gekämpft und gelitten haben! Aber wenn Thieß und Ebermeyer sich jetzt in der deutschen Presse als Märtyrer der inneren Emigration empfehlen und mit ihrer heroischen Treue zum Vaterlande prahlen, die doch nur aus Duimmheit und Bequemlichkeit bestand, so ist das eine schwer erträgliche Unverschämtheit.“

Über die moralische Berechtigung der Position, die Frank Thieß damals bezog, vermag das neueste Buch des heute Zweiundachtzigjährigen einige Aufschlüsse zu geben. Als Quellenmaterial dienten Tagebücher und Notizhefte. „Was sich in diesen Fragmenten an Tataachen befindet“, sagt Thieß im Nachwort, „ist Wahrheit ohne Dichtung“. Und diese Wahrheit ohne Dichtung beeindruckt.

Da ist zunächst einmal die materielle Existenz, die durch das Verbot seiner Bücher vernichtet wurde, so daß Thieß nach 1933 die Sicherstellung des täglichen Brots seiner Frau Florence überlassen mußte, einer erfolgreichen Sängerin. Die demütigenden Umstände, unter denen dies möglich war, lagen zwischen der Weigerung, die Gattin eines unerwünschten Schriftstellers in das Ensemble aufzunehmen, und der Aufforderung, sich scheiden zu lassen, und bedeuteten bestenfalls eine Gage van 500 Mark im Monat für 30 Aufführungen: „Ich soll eben ausgehungert werden.“ Allerdings: es waren nur Schwierigkeiten der ersten Jahre nach 1933. Später durften neue Bücher von ihm erscheinen, und durch laufende Mitarbeit als Drehbuchautor bei der Ufa war die materielle Existenz wieder gesichert.

Deprimierender war auf die Länge der Zeit die geistige Existenz: „weis sich in mir begab, war ein Prozeß der Schrumpfung.“ Es hieß „im Sumpf leben“, wie die Überschrift eines Kapitels lautet: „Unsereinem, dem ewigen Verkünder des Geistes und der Menschlichkeit, bleibt kein Quadratmeter Raum in dieser Welt.“ Als bescheidene Möglichkeit eigenen Wirkens bot sich dem oppositionellen Schriftsteller der Weg über die Geschichte, die Verschlüsselung und Verfremdung der Aussage durch das Gewand eines historischen Stoffes, zumal, wenn er, wie Frank Thieß, vom Studium her ein hochgebildeter Historiker mit geschichtsphilosophischem Blick war. Daß ein solches Dasein unter Schmerz und Gefährdung Gründe sucht zur Rechtfertigung, dageblieben zu sein, ist verständlich. Es geschieht in diesen Tagebüchern mehrfach unter Berufung auf die „unbestimmbaren Mächte“ von Sprache, Erde, Luft, „mit denen des Menschen Seele tief verbunden ist“.

Soviel zur rückwärtsgewandten Selbstspiegelung, aus der sich immer wieder der Dank gegenüber Österreich herauslesen läßt: Dankbarkeit für Atmosphäre und Freundschaften, die es bis 1938 noch bieten konnte — Hermann Broch und Franz Werfel werden mehrfach erwähnt —, Dankbarkeit für die Hilfe, nicht nur materieller Art, die er durch das Verlagshaus Zsolnay und bis 1938 durch die Verlegerpersönlichkeit Paul von Zsolnays erhielt, und Dankbarkeit für die neue Heimat, die er durch die Übersiedlung nach Altaussee fand.

Zwei Ebenen gehen in diesen „Jahren des Unheils“ ineinander über, untrennbar und manchmal fast unmerkbar: die historische Darstellung individuellen und doch allgemeingültigen Schicksals und die dokumentarische Sprache der dama-lichen Notizen. Und gerade daraus bezieht dieses Buch seine starke Wirkung.

JAHRE DES UNHEILS. Fragmente erlebter Geschichte. Von Frank Thieß. Verlag Zsolnay, Wien. 324 Seiten, Leinen. Etwa DM 24.—.

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