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Ohne Reichstag

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Das mehrere Jahrhunderte alte System der Evangelisch-Lutherischen Staatskirche in Schweden geht zu Ende. Auf einer gemeinsamen Klausurtagung von Vertretern der Kirche und des Staates, die unter dem Vorsitz von Kirchenminister Alva Myrdal in Stockholm stattfand, wurde darüber Einigung erzielt, daß sich Staat und Kirche in Schweden mit dem 1. Jänner 1983 endgültig voneinander trennen werden. Diesem Beschluß waren 20jährige Überlegungen vorausgegangen, die darauf abzielten, die seit der Reformation bestehende Verflechtung von Staat und Kirche in Schweden aufzuheben und die Evangelisch-Lutherische Staatskirche auf eine eigenständige Volks- oder Gemeindekirche als eine Religionsgemeinschaft unter anderen umzustellen.

Die Reform soll, wie aus dem über die Klausurtagung veröffentlichten Kommunique hervorgeht, in zwei Etappen vor sich gehen. Bis zum 1. Jänner 1983 sollen die von der Kirche bisher wahrgenommenen staatlichen Verwaltungsaufgaben —• vor allem standesamtliche Agenden — auf die staatlichen Behörden übergehen. Vom 1. Jänner 1983 an wird die Kirche ihren öffentlich-rechlicht-lichen Status verlieren und den einer privatrechtlichen Organisation erhalten. Das Eigentum der Kirche soll unangetastet bleiben, wobei in den nächsten Jahren noch zu klären ist, was tatsächlich Eigentum der Kirche ist. Der Staat wird ferner der Kirche bis Ende 1982 helfen, ihre eigenen Mitglieder — es gehören ihr 92 Prozent der Schweden an — administrativ zu erfassen. Es ist eine obligatorische Beitragspflicht vorgesehen, wobei die lutherische Kirche ebenso wie andere Glaubensgemeinschaften des Landes in ihrem Wirken auch vom Staat finanziell gefördert werden soll.

Das Staatskirchensystem hatte der lutherischen Kirche in Schweden zwar verschiedenste, insbesondere auch materielle Vorteile verschafft, sie aber auch in eine starke Abhängigkeit vom Staat gebracht. So werden das Kirchenoberhaupt (der Erzbischof von Vppsala), die Bischöfe der zwölf Diözesen sowie die Pfarrer vom Parlament und von den Behörden ernannt, wobei der Kirche selbst nur ein Vorschlagsrecht zusteht. Über die Liturgie, die Gottesdienstordnung, das Gesangbuch und die sonntäglichen Bibellesungen befindet der Reichstag. Die Geistlichen sowie die kirchlichen Angestellten sind von der öffentlichen Hand bezahlte Staatsbedienstete. Diese weitgehende Abhängigkeit der Kirche vom schwedischen Staat war es auch, die den Anlaß zu den Überlegungen in Richtung auf die jetzt beschlossene Reform gegeben haben. Ein zweiter Grund war der auch von den MinderHeitskirchen geäußerte Wunsch, für (Jas Wirken aller Glaubensgemeinschaften in Schweden die gleichen Voraussetzungen zu schaffen.

Der schwedische Staat ist schon bemüht, auch die Tätigkeit der übrigen Kirchen zp. fördern. Seit kurzem erhalten auch die anderen Kirchen — darunter die 55.000 Gläubige zählende katholische Kirche des Landes — staatliche Subventionen, die allerdings, auch im Verhältnis zur Gläubigenzahl, nur einen Bruchteil der für die Staatkkirche bereitgestellten Mittel betrag^ Dieser Zuschuß wird überdies nicht von der Kirche selbst. sondern von den Behörden verwaltet. Laut schwedischem katholischem Informationsdienst KIT zeigt diese „absurde Diskriminierung“ bei den Subventionen, daß die Frage, ob die katholische Kirche in Schweden sich zu einem gleichberechtigten Partner innerhalb des schwedischen Christentums entwickeln werde, nicht mit einem Ja beantwortet werden kann.

Seit 1595 der schwedische Reichstag den letzten katholischen Priester verbannt hatte und 1617 unter Gustav II. Adolf sogar die Todesstrafe für Katholiken eingeführt worden war, hatte es die katholische Kirche schwerer als in anderen protestantischen Ländern, in Schweden wieder Fuß zu fassen. 1781 wurde wenigstens den ausländischen Katholiken in Schweden Religionsfreiheit gewährt, doch schwedische Konvertiten mußten oft weiterhin nach Rom ziehen, wo zeitweise eine schwedische katholische Kolonie bestand. 1860 wurde es dann auch schwedischen Bürgern gestattet, den katholischen Glauben anzunehmen. Das Klosterverbot wurde 1951 aufgehoben, und 1953 wurde schließlich das katholische Bistum Stockholm gegründet. Durch die wachsende Zahl ihrer Gläubigen zum Teil infolge von Einwanderung sowie durch ihre Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung hat die katholische Kirche in Schweden in den letzten Jahren manches von ihrer „Außenseiterrolle“- verloren. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung war die von beiden Kirchenleitungen beschlossene Aufnahme offizieller ökumenischer Gespräche zwischen der Lutherischen Staatskirche und der katholischen Kirche des I^andes.

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