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Politik im Land der Patriarchen

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Oberösterreich ist das Land der Patriarchen. In keinem anderen Bundesland können wir so wie hier noch Männern begegnen, die an der Wiege des neuen Österreich standen, die das Werk des geistigen und materiellen Wiederaufbaues zu dem ihren machten und deren Namen in der Geschichte der Zweiten Republik einen festen Platz einnehmen.

Es ist nach wie vor ein Genuß und lebendiger Geschichtsunterricht, den Erzählungen Altlandeshauptmann Gleiß-ners zu lauschen. Sein sozialistisches Pendant, Altbürgermeister Ernst Ko-ref, ist von anderem Temperament. Als gewissenhafter Mittelschulprofessor zieht er das geschriebene Wort vor -und hat recht damit. Noch immer gilt das Wort des Lateiners „scripta ma-nent".

Die Gezeiten seines Lebens, auf die Ernst Koref an der Schwelle seines 90. Lebensjahres Rückblick hält, waren mehr als bewegt. Der in seiner Jugend vom damaligen Zeitgeist des Deutschliberalismus angesprochene - und zum Teil auch bis heute geprägte - Sohn eines Staatsbahnbeamten erlebt als junger Offizier den Ersten Weltkrieg, russische Gefangenschaft und das Ende Altösterreichs. Der junge Mittelschullehrer schließt sich der Sozialdemokratie

an und gewinnt auf Grund seiner Bildung und Eloquenz rasch Einfluß.

Die Krisenjahre der österreichischen Demokratie erlebt er bereits als sozialdemokratischer Abgeordneter im Nationalrat. Korefs große Zeit beginnt, ohne Zweifel aber erst 1945, als er Bürgermeister von Linz wird, hier das Werk des Wiederaufbaues der oberösterreichischen Landeshauptstadt leitet und mit seinem ehemaligen Schulkollegen und nunmehrigen Landeshauptmann Gleißner eine trotz der verschiedenen politischen und weltanschaulichen Einstellung bald sprichwörtlich gewordene „politische Achse" herstellt.

Als wiedergewählter Abgeordneter zum Nationalrat wendet er sich zunehmend außerpolitischen Fragen zu. Koref erwirbt sich durch besonnenes Auftreten und freimütige, nicht immer der Parteilinie des Tages entsprechende Aussagen in allen Lagern Achtung und persönliches Ansehen. Zweimal, 1951 und noch einmal 1965, wird er als Kandidat für die Bundespräsidentschaft ernstlich in Kombination gezogen.

Uber dieses politische Leben wird in dem vorliegenden Buch referiert, aber nicht nur dies. Mehr als einmal spricht der „grand old man" der österreichischen Sozialdemokratie auch Wahrhei-

ten aus, die nicht überall gern gehört werden. Den Bundesrat zum Beispiel, dem er selbst in den Jahren 1958 - 1965 angehört hatte, nennt er despektierlich, aber zutreffend eine „verfassungsrechtliche Mißgeburt" (S. 417).

Von der „antiautoritären Welle" in der Jugenderziehung hält der alte Schulmann nicht viel und bezeichnet sie schlichtweg als „unsinnig" (S. 13). Gegenüber dem Schlagwort von der „Demokratisierung aller Lebensbereiche" bewahrt der Verfasser, der sich zeitlebens als Demokrat ausgewiesen hat, merklich Zurückhaltung (S. 535), und auch sonst mahnt er seine Parteifreunde vor zuviel Umgang mit dem „Zeitgeist". Unüberhörbar ist auch die Mahnung des erfahrenen Pädagogen vor zuviel Experimenten in und mit der Schule sowie vor der Demontierung der humanistischen Bildung.

Korefs Vermächtnis: „Kein Weg ist so schwer wie der Vormarsch zurück zur Vernunft." Es sollte in einer Zeit, in der der Irrationalismus in der Politik links wie rechts wieder sein Haupt erhebt, beherzigt werden.

DIE GEZEITEN MEINES LEBENS. Von Ernst Koref. Vorwort von Bruno Kreisky, Verlag Jugend und Volk. Wien-München 1980. 551 Seiten. öS 598.-

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