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Progressiver Spießer bleibt Sieger?

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Der „steirische herbst“ ist eine Serie kultureller Veranstaltungen, die zum großen Teil von einer .„schwarzen“ Landesregierung, einer „blauen“ Stadtverwaltung und dem ORF finanziert wird und mit Recht höchst unterschiedliche Bewertungen erfährt: Hier wird Gutes, Mittelmäßiges und wirklich Schlechtes mit einer geradezu entwaffnenden Naivität gemischt. In den sechziger Jahren aus der Taufe gehoben, ist dieses Dauerfestival unaufhörlich und unaufhaltsam „moderner“ geworden, bis schließlich eine Bürgerinitiative mit 25.000 Unterschriften zum Protest aufrief.

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Der „steirische herbst“ ist eine Serie kultureller Veranstaltungen, die zum großen Teil von einer .„schwarzen“ Landesregierung, einer „blauen“ Stadtverwaltung und dem ORF finanziert wird und mit Recht höchst unterschiedliche Bewertungen erfährt: Hier wird Gutes, Mittelmäßiges und wirklich Schlechtes mit einer geradezu entwaffnenden Naivität gemischt. In den sechziger Jahren aus der Taufe gehoben, ist dieses Dauerfestival unaufhörlich und unaufhaltsam „moderner“ geworden, bis schließlich eine Bürgerinitiative mit 25.000 Unterschriften zum Protest aufrief.

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Man bemängelt unter anderem, daß man heranreifende Schulkinder mit Autobussen zur Vorstellung von den „Gespenstern“ Wolfgang Bauers verfrachtete, in der eine Schauspielerin fröhlich herumnackte und im Hintergrund der Bühne frisch darauflas .geliebt“ wurde. Herr Bauer, der einmal ganz nette Stücke schrieb, dann aber sehr erfolgreich in Frankfurt mit einem gesalzenen Sensationsstück debütierte und dadurch zur Berühmtheit gelangte, darf nun als arrivierter Prophet auch in seiner Heimat Triumphe feiern. Unterleibsakrobatik ist „mudern“, und der wildgewordene Spießer, einst in den Netzen der Prüderie jämmerlich verstrickt, schlägt nun wie rasend um sich herum. Auch will anscheinend die Provinz es den Weltstädten ä tout prix gleichtun.

Nun könnte man glauben, daß die „Gespenster“ tatsächlich einen literarischen Wert oder doch so etwas wie eine konkrete Aussage, wenn nicht eine Botschaft hätten, doch weit gefehlt! Auch der Autor erklärte, daß sein Stück in einem etwas neureichen, herzlich vulgären Milieu spielend, keine so hohe Ansprüche erhebe. (Es ist 'auch nicht „harter Porno“, denn es wind nur leichthin in den Akzenten bürgerlichen Hochproletentums geschweinigelt.)

Graz ist nun einmal keine ,,finstere Provinz“, und diie grüne Steiermark hat ihre eigene literarische und künstlerische Tradition, deren sie sich nicht zu schämen braucht. Doch gerade deswegen fragt man sich, warum dann ein lokaler Klüngel mit dem Segen der keineswegs anarcho-syndikalistüschen oder neu-links-niihilistischen Landesregierung den braven Steirern und ihren Freunden wiederholt „Des Kaisers neue Kleider“ serviert, wofür der Steuerzahler voll Inigrimm aufkommen muß. Bei einer Körperkul-tiuraufführung fegte eine Dame im Evakostüm den Boden mit ihren Brüsten, was vielleicht ein äußerst sinniger Beitrag zum Jahr der Frau war: da konnte kein Mann konkurrieren!

Sicherlich ist es rühmenswert, wenn man im Rahmen des henbst-steirtischen „Trigon“ nebst österreichischen auch italienische und südslawische Künstler zu Ausstellunsen einlädt, aber leere Obststeigen (die dann einfach auf den Misthaufen geworfen wurden) oder gar ein nicht volles Glas Wasser mit dem Etikett „halbleer-halbvoll“ zu präsentieren, stellt doch geradezu ungeheuerliche Anforderungen an das intelligente Raffinement des elegisch gestimmten Beschauers. Oder was sagt man dazu, wenn bei einem Konzart ein Klavier, als surrealistische Sonderlei-stuntg zertrümmert wird? Das ist dann allerdings nicht mehr Pariser oder New Yorker Modernität: so stellt sich der kleine schwarze Moritz in Lesotho (oder Namibia) die Essenz der zeitgenössischen Kunst vor. Der Katalog zur Trigon-Ausstel-lung im Vorjahr ist ein Prachtstück unfreiwilligen Huimors. Allein das Konterfei des Künstlers Michelangelo Pistoletto (so heißt er wirklich — Vorfcriegsehreniwort!) erinnert an Rinaldo Rinalidini in einer Kommune, und die Aussage von Maria Lassnig: „Walhrtsöhednlich fühle ich mich als Schwein“ wirkt auf einen Kavalier alter Schule völlig entwaffnend.

Nicht minder amüsant aber ist die schön gebundene Nummer des „Pfirsich“ vom Oktober 1974 („im auftrag des „steirischen herbstes“!) in dem „muidern“ die totale Reinschrift praktiziert wird und die „Die Kunst als Lebensritual“ zum Thema hat.

Sie zerstört einem restlos den ohnehin schon erschütterten Glauben an den Storch Der Japaner Kubota interessiert sich bildlich für männliche und Hannah Wilke für weibliche Organe, die sie in rührender Vielfalt produziert. Den Vogel genießen allerdings die „Wiener Aktivisten“ (aha, die Weltstadt!) ab, die in Urin, Kot und Blut „wesentliche Sprachmittel“ sehen. Kein Wunder, denn unwillkürlich hat man den Verdacht, daß sie sich mit Wort und Schrift schon etwas schwerer tun. In diesen Aspekten des „steirischen herbstes“ liegt etwas Blasphemlisdheis, das aber in unseren Tagen auch „chri-stlicher-seits“ nicht immer auf den nötigen Widerstand stößt. So haben wir ja nunmehr nicht nur eine- „Theologie der Befreiung“, eine „Theologie der Gewalt“, sondern auch eine „Theologie des offenen Hosentürls“. Das Appeasement dominiert auf der ganzen Linie.

Was wind uns wohl der kleingeschriebene herbst 1976 bringen? Vor allem einmal drei „Dramulette“ von Bauer, Artmann und Jandl, deren Texte aber noch immer nicht vorliegen. Über diese bestellten Stücke, die einer Welturaufführung harren, kann man nur spekulieren. Man darf auf sie gespannt sein, denn sie stehen in enger Verbindung mit dem IJteratursyroposMm „Selbsterfah-rung des Autors“, in der ,..ichzen-trierte Bewußtseiinsvorgänge“ den Schwerpunkt bilden werden. Mit einsm Wort: nichts bleibt uns erspart!

Die symptomatische Bedeutung des „steirischen herbstes“, der zweifellos auch seine positiven Seiten hat und nicht summarisch verdammt wenden sollte, liegt vor allem in der fromm ergebenen Haltung von Männern und Frauen vor dem, was ,^modern“ sein möchte, doch morgen lächerlich veraltet sein wird. Das Odium, als reaktionäre, prüde, konservativ oder gar rechtsstehend zu gelten, kann ivn unserem konformistischen Zeitalter nur den -venisssten zugemutet werden. Der zweite interessante Aspekt ist die Macht beziehungsweise Ohnmacht einer Bürgerinitiative. Jene Steitrer, diie ihre Signatur unter das Protestschreiben setzten,, so denken wahrscheinlich die Leitungen der „bürgerlichen“ Parteien, werden Ihre Stimmen, auch wenn man sie enttäuscht, weiter ihren Parteien geben. Das aber ist eine Kalkulation, die nicht unbedingt aufgehen muß: es gibt Stimmenthaltungen- und Abwanderungen in radikale Lager, die rieh bei sehr knappen Waihilergeb-nissen auch fatal auswirken können. Die Sozialisten freuen sich über den Dissent, protestieren sogar leise, empfinden aber selbst keinen Aufhölbedarf an Modernität. So bleibt vorläufig der absolute Sieger der pragressistische Spießer. Er bat ja keinen anderen Glauben als die Fiktion des Fortschritts, eines Fortschritts ins Nichts.

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