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Rabin zwischen „Schula” und Scarybdis

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Ob der Mensch vom Affen abstammt, diirfte kaum etwas Gemeinsames mit dem Nah-Ost-FriedensprozeB zu tun haben; ebenso wenig wie die Frage, ob die Welt tatsachlich nur in sechs Tagen erschaffen wurde. Doch der von dieser merkwiirdigen Fragestel-lung iiberraschte Zeitgenosse, kennt sich im Falle, daB er keinerlei Zusam-menhang sieht, einfach nicht in der Innenpolitik Israels aus. Denn gerade diese Darwinschen und ahnliche The-men sind es, die immer wieder von neuem zu schweren und iiberfliissi-gen Regiefungskrisen im Kabinett Rabin fuhren.

Frau Schulamit („Schula”) Aloni, 1929 geboren, Mutter von drei Soh-nen, Lehrerin und Rechtsanwaltin, Mitglied der Knesset seit mehr als 20 Jahren, ist derzeit Unterrichtsministerin in der Regierung Rabin. Sie steht an der Spitze des groBten Regie-rungspartners Rabins, der „Meretz”-Partei. AuBer vielen Qualifikationen, die sie fiir ihren Job mitbringt, verfiigt die resolute Dame leider iiber ein be-sonders loses Mundwerk, das sogar die amerikanische „Time” als „Das Mundwerk des Staates” (Israel) be-zeichnet hat. Wenn Frau Aloni im Laufe von zwei Tagen keine politi-sche, kulturelle, philosophische oder irgendeine andere Deklaration abge-geben hat, fragen die Journalisten be-sorgt, was mit ihr los sei? Denn diese Statements, Interviews, Fernsehauf-tritte, Radiosendungen, Vortrage vor Lehrern und so weiter sind fast stets von Blitz und Donner begleitet und beleidigen fast immer ihre politischen

Mundwerk des Staates: Schulamit

Widersacher, wahrend sie ihre Koali-tionspartner immer wieder von neuem sprachlos macht.

Die dritte Koalitionspartei ist eine kleine religiose Partei, die „Schass”, die zwar nicht fundamentalistisch rea-giert, dennoch streng glaubig ist, ergo zum Beispiel die Geschichte mit Dar-wins Affen zu akzeptieren nicht bereit ist. Frau Aloni hat auBerdem den Fehler, selbst wenn sie etwas Richtiges sagt, es todsicher immer zur falschen Zeit zu sagen. „So kann es nicht wei-tergehen!”, rief em-port der Premier aus, als er in einer Wochenend-Zei-tung ein Interview mit seiner Unterrichtsministerin sah, in dem diese klipp und klar er-klarte, er, Rabin, wurde das ganze Golan-Gebiet den Syrern iiberlassen. Dies gesagt inmit-ten von superdeli-katen Verhandlun-gen mit den Syrern und Demonstratio-nen von Golan-Siedlern, deren Mehrheit Mitglie-der der Arbeiterpar-tei Rabins sind.

Mit den religio-sen Parteien, so-wohl der Opposition, als auch in der Aloni (Archiv) gemeinsamen K(jL alition, liegt die flotte Unterrichtsministerin in dauerndem Clinch. Einmal ist es, wie gesagt, der Affe Darwins, der ihr in die Quere gekommen war, ein anderes Mai die Schopfungsge-schichte, ein drittes Mai hat es ihr ausgerechnet die biblische Hure Ra-hab aus Jericho angetan und so weiter und so fort, worauf dann immer wieder ein Aufschrei nach dem anderen aus dem religiosen Lager erfolgt, das reagiert, wie von einer Tarantel gesto-' chen. „Ab sofort werde ich mich selbst zensurieren”, versprach brav eine ein wenig zerknirschte Aloni vor einigen Wochen, als sie die Presse, aber auch Parteifreunde auf den Schaden auf-merksam machten, den ihr Mundwerk anrichtet. Allerdings wurde dann aus der Selbstzensur nichts, und das groBe Mundwerk richtete weiter groben Schaden an. „Wir haben doch die Regierung gebildet, um den Friedens-prozeB voranzutreiben und nicht um uns mit den Religiosen iiber Affen zu streiten”, meint dazu ungehalten Woh-nungsminister Ben-Eliezer. Wie rich-tig! Aber...

Das Rote Tuch der „Schass”

Jizchak Rabin weiB, daB dieses Mundwerk seine jetzige Regierung stiirzen kann, denn ohne die religiose „Schass”-Partei hatte seine Regierung kaum eine Mehrheit in der Knesset, und eben diese kleine, aber wichtige „Schass” hat bereits erklart, sie konne so nicht im Kabinett bleiben, zumal sie heftig unter dem Druck der anderen religiosen Parteien steht, die Regierung zu verlassen.

Dem von seiner Ministerin heimge-suchten Premier Rabin blieb keine Wahl als am Vorabend des judischen

Neuen Jahres Frau Aloni und weitere zwei Minister ihrer Partei zu sich zu rufen und ihnen zu erklaren - was sie ohnehin bereits wuBten - daB Frau Aloni die Regierung in ein Nichts ver-zaubern kann. „Hier handelt es sich eindeutig nicht um die ,Meretz'-Par-tei”, betonte Rabin im Gesprach, „son-dern einzig und allein um die Ministerin Aloni. „Frau Aloni benahm sich wie eine Schulerin, die eben ihre schlechten Noten zu Hause vorzeigen muB. Ganz im Gegensatz zu ihrem Temperament, zeigte sie Reue und Bedauern, gleich einer Schiilerin, die hoch und heilig verspricht: „Es wird bestimmt nicht noch einmal vorkom-men.” Kenner der Szene haben dafiir nur ein mitleidiges Lacheln iibrig, sie glauben nicht, daB Frau Aloni einfach ihre spitze Zunge plotzlich ziigeln konne. Selbst ein Befiirworter Rabins, der '80jahrige Nestor der Arbeiterpartei, Jizchak Ben-Aharon, der Ministerund Gewerkschaftsvorsitzender war, sag-te unlangst unverblumt seine Mei-nung: „Schulamit Aloni sollte man in einen Kindergarten stecken, um dort zu wachsen und sich zu entwickeln.”

Rabin iaag bei „Schula” an das Wort denken: „Beschutze mich vor meinen (Koalitions)Freunden, mit meinen Gegnern werde ich schon allein fer-tig.”

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