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Reise ins Unbekannte

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„Seid untereinander so gesinnt, wie es einem Leben in Christus Jesus entspricht.“ Ohne Bemühen, diesem Leitwort gerecht zu werden, hat das Wiener Diözesanforum geringe Chancen.

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„Seid untereinander so gesinnt, wie es einem Leben in Christus Jesus entspricht.“ Ohne Bemühen, diesem Leitwort gerecht zu werden, hat das Wiener Diözesanforum geringe Chancen.

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Am 23. September 1989 findet in Wien die konstituierende Sitzung des Diözesanforums statt. „Um die Bedeutung (dieses Forums) noch mehr hervorzuheben“ - so heißt es im Wiener Di özesanblatt - „werden alle Pfarrer gebeten, am Samstag, dem 23. September 1989, von 12.00 bis 12.05 Uhr den Angelus mit allen Glocken zu läuten. In dieser Zeit werden alle Delegierten des Diözesanf orums in der Marienkirche, 1170 Wien, zum gemeinsamen Gebet versammelt sein.“

Es wird nicht allen Pfarremleicht fallen, alle Glocken einzuschalten, und es werden sich so manche schwer tun zu erklären, warum die Glocken läuten. Viele sind unsicher, was dieses Diözesanforum überhaupt will. Sie können Eich unter der bisher bekanntgegebenen Zielformulierung nicht viel vorstellen: „Das Diözesanforum will ein von Gespräch und Gebet getragener geistlicher Vorgang sein. Ausgehend von den Erfahrungen und Sorgen der Menschen sollen im Dialog die Quellen unseres Glaubens bewußt werden. Wir sollen uns an der Gesinnung und am Leben Jesu orientieren und so als glaubwürdige Gemeinschaft das Reich Gottes in dieser Welt mitaufbauen.“

Bei all dieser Unsicherheit kann man das Glockengeläute am Beginn des Diözesanf orums am besten als einen mächtigen Hilferuf verstehen, daß dieses Forum, das ja nicht nur die dort Versammelten, sondern die ganze Erzdiözese betreffen soll, zu etwas Gutem für alleBeteiligten und Betroffenen wird. Und es ist auch sinnvoll, diesen Hilferuf mit dem Angelus zu verbinden. Geht es doch letztlich darum, daß das Wort auch in unseren Tagen Fleisch wird und die Menschen unserer Tage Jesus als den Erlöser erkennen und erfahren.

Trotz der allgemeinen Zielunsicherheit gibt es doch einzelne Elemente, die sich als fruchtbar erweisen könnten.

1. Der Name „Forum''. „Forum -das bedeutet .Platz in der Öffentlichkeit', auch der Kirche, auf dem mansich trifft, bespricht, ausspricht, und etwas ausmacht... Mit all ihren Pfarren soll die ganze Diözese der .Platz' sein, auf dem das Gespräch, das gemeinsame Suchen, das gemeinsame Gebet gelingen möge“ (Kardinal Hans Hermann Groör).

Das ist ein fast zu großes Programm in der gegenwärtigen Situation. Es sollen sich auf dem Forum nicht nur die Gruppen Gleichgesinnter treffen, sich nicht Lager bilden, die etwa Uberlegen, wie man sich gegenseitig bekämpfen kann, sondern es sollen alle aufeinander zugehen, sich aussprechen, besprechen, etwas miteinander ausmachen. Es soll ein gemeinsames Suchen und Beten möglich werden. Und es sollen dabei auch nicht, so heißt es im Einberufungsschreiben des Herrn Kardinals, die Klagen und Anklagen, die Sorgen und Fragen, die uns auf vielen Gebieten bedrängen, verschwiegen werden.

2. Das Leitwort: „Seid untereinander so gesinnt, wie es einem Leben in Christus Jesus entspricht.“ Diesem Leitwort aus dem Brief des Apostel Paulus an diePhilipper geht die Ermahnung voraus, eines Sinnes und in der Liebe verbunden zu sein; nichts aus Ehrgeiz und Prahlerei zutun. „Sondern inDemut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst.“ Ohne Bemühung um diese Gesinnung brauchen wir gar nicht das oben beschriebene Gespräch beginnen. Es wird entweder überhaupt nicht zustande kommen oder in einem Fiasko enden. Mit dieser Gesinnung dürfen wir hoffen, die richtigen Worte und Wege zu finden. Im Brief an die Römer warnt Paulus die „Starken“, die „Schwachen“ nicht zu verachten, und ermahnt die „Schwachen“, die „Starken“ nicht zu verurteilen. Diese Mahnung ist auch heute aktuell. Die mehr Konservativen sind versucht, die anderen zu verurteilen, die Progressiven, die anderen zu verachten.

3. Das Hauptthema: „Was haltet ihr von Christus?“ Ih dem schon zitierten Einberufungsbrief schreibt Kardinal Groör: „Hauptthema (dieses Gesprächs) wird - wie zur Zeit Jesu - die Beantwortung Seiner Frage sein: ,Was haltet ihr von Christus?'. Nur in Seiner Gnade werden wir die Antwort finden und geben - auch in den Teilfragen unseres christlichen Lebens heute, unseres gemeinsamen Weges, unseres Zeugnisses für Ihn.“

Diesen Worten kann man nur hundertprozentig zustimmen. Aber für viele, selbst im innerkirchlichen Raum, ist dieses Hauptthema verstellt. Das Antlitz Jesu wird durch manche Vorgänge in der Kirche verdunkelt. Das Diözesanforum -und die damit verbundenen anderen Foren - sollen sich bemühen, diese Hindernisse auszuräumen, damit der Blick wieder frei wird für dieses Hauptthema: Jesus Christus.

4. Es darf nicht nur um „unsere“ Probleme gehen. Auch dazu finden wir treffende Worte im Einberufungsschreiben: „Wir leben mit so vielen zusammen, die unseres Zeugnisses für Gott, für die Kirche dringend bedürfen, die nach Wahrheit suchen, .weinen', vor allem im geistig-geistlichen Bereich ganz dringend unsre Hilfe brauchen. So viele wissen nicht um den Sinn ihres und des gesellschaftlichen Lebens und seiner Ordnung und furchten sich vor anonymen Mächten, Entwicklungen, die den einzelnen wie die Umwelt bedrohen. Das sollten wir heute bedenken, darum uns neu bemühen.“

Kirche ist nur dann glaubwürdig, wenn sie nicht nur in Worten, sondern auch in Taten den Menschen ganz nahe ist, ihre Freuden und Hoffnungen und ihre Ängste und Trauer teilt. Wo das geschieht, entsteht auch Sinn und Interesse für den Glauben. Diesbezüglich gibt es viel auf dem Diözesanforum und den übrigen Foren zu überlegen und zu unternehmen.

5. Hören auf Gottes Wort. Das Diözesanforum soll in den Gemeinden und Gruppen auch durch Bibelgespräche vorbereitet werden. Man darf diese Aufforderung zum Bibelgespräch nicht unterschätzen. Wir sollen nicht immer auf das starren, was uns in Kirche und Welt an Sorgen bewegt, wir dürfen auch nicht gleichgültig auf Distanz gehen, sondern müssen auch wieder lernen, selbstlos und offen auf das Wort Gottes zu hören. Wer sich darum bemüht, sieht die Kirche und die Welt nach und nach in anderen Perspektiven. Dieses Hinhorchen auf Gottes Wort haben wir gegenwärtig dringend nötig. Es lehrt uns auch zu schweigen, wo dies besser ist, und recht zu reden, wo dies nötig ist.

Aus dem Hören auf Gottes Wort kann auch jener „geistliche Vorgang“ entstehen, von dem bei der Zielformulierung die Rede ist.

Das Wiener Diözesanforum konstituiert sich am 23. September 1989. Die erste Arbeitssitzung soll Ende Oktober 1990 stattfinden. Inzwischen soll dieses Diözesanforum in den Pfarreien und auch außerhalb der Gemeinden in kleinen Foren vorbereitet werden.

Das Wiener Diözesanforum ist noch weitgehend eine Reise ins Unbekannte. Soll es gelingen, bedarf es der Hilfe von oben. Es bedarf aber auch Menschen, die des Dialogs fähig und willig sind. Und es wird auch nötig sein, für die große Zusammenkunft im Herbst 1990 eine Gesprächsunterlage zu machen, die möglichst den Sorgen und Anliegen aller Beteiligten gerecht wird. Vor allem aber sollen sich alle bemühen, keine Anlässe zu geben, die das Gespräch erschweren oder wieder zunichte machen.

Das Diözesanforum beginnt mit dem Geläute aller Glocken der Erzdiözese Wien. Glocken läuten zu freudigen und traurigen Anlässen. Sie sollen aber nie vergebens läuten. Sie läuten nicht vergebens, wenn wir dieses Geläute als Hilferuf verstehen.

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