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Schauen und Lesen
Was alle sagen, ist häufig falsch. Als der Film aufkam, sagten alle: Jetzt geht's den Büchern an den Kragen. Alle werden schauen, aber niemand wird mehr lesen.
Aber dann kam das Buch zum Film: Doktor Schiwago und Doktor Kolle, die Buddenbrooks und die Bibel. Und was alle gesagt hatten, trat nicht ein.
Als das Fernsehen zu flimmern begann, war's nicht anders. Wieder sagten alle, daß es den Druckwerken an den Kragen ginge.
Aber dann wurden die Fernsehzeitschriften erfunden. Und aus war es mit dem Dauerschauen,
denn das Vor- und Nachlesen braucht eben seine Zeit.
Was man auch immer über den baldigen Tod des Lesens sagte und schrieb, er trat und tritt nicht ein.
Was den Schreibern und den Verlegern gefällt, das gefällt nicht unbedingt auch den Regisseuren und den Fernsehintendanten. Wer liest, der wird nicht einschalten.
Also erfanden die Fernsehleute die Fernsehserie, den Fortsetzungsroman mit elektronischen Mitteln.
Die Lesefront aber, die schlug zurück. Schon knapp nach der 54. Folge von Dallas gab's am Bahnhof ein Taschenbuch zur aufwühlenden Frage: „Gibt es auf der Southfork-Ranch auch Hühner?“
Auch der Denver-Dynasty ging es nicht recht anders. Das Gesendete wurde abgedruckt. Wer die anspruchsvollen öldramen nicht gleich beim ersten Hinschauen erfaßte und sich auch mit den Wiederholungen schwer tat, der hatte durch das Buch zur Serie noch eine weitere Chance. Und die wurde genutzt.
Resignationsbewußte Europäer könnten nun einwenden, daß es hierbei ja um amerikanische Aktionen ginge, und daß jenseits des Atlantiks nun eben alles anders wäre. Einspruch, Euer Ehren! Die Rademacher-Rakete aus Mainz beweist, daß die Europäer den Amis nicht nachstehen, in nichts, in gar nichts.
Längst kaufen enthusiasmierte Schwarzwaldkliniker allerlei Geschlechts die exakte Beschreibung der Brinkmannschen Hochzeit, preisgünstig broschürt.
Längst belebt Professor Brinkmanns Schnittkunst und Schwester Christas zweiter Bildungsweg nicht nur den Kreislauf der Fans, sondern auch den Umsatz der Verleger. Das alles war zu erwarten.
Aber dann schlug die Schwarzwalduhr. Unpünktlich fünf vor Zwölf öffnete sich das Kuckucks-türl, und es erschien die Nummer 1 der Zeitschrift zur Fernsehserie „Die Schwarzwaldklinik“, originellerweise „Die Schwarzwaldklinik“ betitelt.
Die Schufte in den Fernsehanstalten haben mit der Sendezeit geknausert. So erfährt man erst aus der Serien-Zeitschrift, ob Sonnyboy Sascha endlich treu wird, was Gaby an Professor Brinkmann so mag, welche heimlichen Sehnsüchte die Stars haben, und was der ZDF-Programmdirektor über die Serie zu sagen hat. Der hat halt kein Cafe Central!
Hätte eine solche Zeitschrift ohne die Werbehilfe des Fernsehens eine Chance gehabt? Die Frage ist rhetorisch, aber es sagen ja alle, daß die Fernsehserien das Publikum dem Buch entfremden, oder brutaler: daß der Moloch TV das menschenfreundliche Buch killt.
Aber, sie wissen ja längst: Was alle sagen, ist häutig falsch. Die Bücher werden weiterleben, und sei es, welche übers Fernsehen.
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