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Schweigen können…

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Die großen Dinge geschehen in der Stille, bereiten sich im Verborgenen vor. Nicht nur die Menschwerdung des Gottessohnes und seine Geburt, auch die Geburt der Kirche und viele entscheidende Ereignisse in ihr sind im Schweigen und in der Stille der Einsamkeit großer Beter vorbereitet worden.

Kann heute überhaupt noch etwas im stillen geschehen? Muß es nicht erst in die breite Öffentlichkeit der Gassen und Plätze hinausgetragen werden, in aller Munde sein, diskutiert und zerredet werden? Muß es nicht zuerst Schlagzeilen in der Presse machen und auf dem Fernsehschirm aufleuchten?

Wir leben nun einmal im Zeitalter der Massenmedien, der massivsten Reklame, der immer perfekter und rascher werdenden Information und müssen uns daran gewöhnen, mit diesen Errungenschaften des Fortschritts zu leben.

Aber hat dann die Stille überhaupt noch einen Sinn, wenn alles gemeinsam und in aller Öffentlichkeit erlebt und durchlebt werden muß? Ist nicht im Strom der ununterbrochenen und allseitigen Information das Gespräch miteinander entscheidender?

Man kann nicht leugnen, daß im Durchdenken offener Fragen das Gespräch miteinander Anstoß zum eigenen Nachdenken werden kann. Ebensowenig kann man bestreiten, daß eine möglichst umfassende Information notwendig und nützlich ist, um die eigenen Probleme zu erkennen und den eigenen Standpunkt im Leben zu finden.

Die Meinungen auf dem Gebiete des Sachwissens, auch des religiösen, gehen oft und vielfach auseinander. Wenn sie dargelegt und gegenübergestellt werden, kann eine Klärung herbeigeführt werden, kann der einzelne sich eine Meinung bilden. Diese aber muß wieder in der Stille des eigenen Nachdenkens reifen. Der Prozeß, in dem persönliche Überzeugungen reifen, mit denen man leben kann und die einen festen Stand im wogenden Leben bieten, erfolgt letztlich in der Stille des eigenen Nachdenkens, beim Religiösen in der Stille des Betens.

Mit dem Reden allein ist es also nicht getan. Mit dem Vielerlei, das man täglich liest und hört, kann man gar nicht fertig werden, wenn man nicht immer wieder in der Stille seinen eigenen Standpunkt im Wirrwarr der Meinungen sucht und überprüft, wenn man nicht selbst die Unterscheidung zwischen richtig und falsch, wichtig und unwichtig findet.

Nur in der Stille reifen eigene Gedanken und Überzeugungen. Gerade die letzten und tiefsten Entscheidungen des Lebens kann und muß der Mensch in der Stille finden und fällen. Die Einzigartigkeit und Größe des christlichen Menschenbildes kann mir noch so gründlich und klar dargeboten werden, aber nur ich selbst kann sie zum Fundament meines Lebens und meiner Entscheidungen machen. Viele große Geister haben um diese Überzeugung ein ganzes Leben lang gerungen.

Man teilt heute die Gläubigen oft in eine redende Minderheit und eine schweigende Mehrheit ein. Die letztere beklagt sich, nicht beachtet zu werden. Die erstere sagt, die schweigende Minderheit werde zu unrecht beschworen, denn sie könne nicht beweisen, daß sie existiert. Wird hier aber nicht die stillschweigende Voraussetzung gemacht, daß Kirche nur dort ist, wo geredet oder gestritten wird? Man sollte sich weder auf die eine noch auf die andere Partei berufen, denn weder das Reden noch das Schweigen allein ist eine Tugend. Es kommt vielmehr darauf an, wann, wo und wie geredet oder geschwiegen wird…

Daß heute das letztere vorherrschend ist, geht wohl daraus hervor, daß die allermeisten Menschen unfähig geworden sind, auf den anderen zu hören. Man spricht von Dialog, aber es führt jeder einen Monolog für sich. Jedes Gespräch unter Mitmenschen setzt voraus, daß man aufeinander hören kann und versucht, einander zu verstehen. Das verlangt aber wieder, daß man so lange schweigen kann, bis man einander gehört und versucht hat, einander zu verstehen. Dazu also ist das Schweigen notwendig, noch mehr, um sich auf die letzten Fragen, die das Leben stellt, eine Antwort geben zu können. Gott und sein ewiger Heilsplan mit dem Menschen offenbaren sich nur dem geduldig Schweigenden.

Wenn wir die schweigende Kirche als die Gemeinschaft jener Menschen, die noch schweigen können und ihr inneres Leben nicht in pausenlosem Reden und Diskutieren ersticken, definieren, so können wir sagen, daß diese Kirche heute noch präsent ist. Ja, vielleicht ist sie sogar im letzten die entscheidende Kraft, sofern in ihr Menschen leben, die sowohl einen festen Stand in sich selbst als auch eine lautere Offenheit zu den anderen haben. Es gibt heute eine schweigende Kirche in zweifachem Sinn: Die schweigende Kirche in den Ländern der Religionsverfolgung. Sie besteht aus jenen, die Tag für Tag ihre Pflicht tun, ihre Arbeit treu verrichten und fest bleiben in ihren religiösen Überzeugungen. Sie scheinen nach außen gar nicht sichtbar, und doch hat sich seit Beginn dieser modernsten Christenverfolgungen gezeigt, daß diese schweigende Kirche von ungeheurer Kraft und Mächtigkeit ist. Ja, es wäre denkbar, daß gerade aus dieser schweigenden Kirche der Weltkirche Kräfte erwachsen, die für ihre Zukunft entscheidender sind als alle auch noch so aktiven Reformanstrengungen im Westen.

Auch die Kirche des Westens darf nicht bloß eine diskutierende, polemisierende, politisierende Kirche sein, sondern sie bedarf ebenso des Schweigens. Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird dies bereits erkannt. Der starke Trend zur Meditation deutet eine Wende an. Die wahre Tugend des Schweigens steht nicht im Widerspruch zum rechten Sprechen, zum guten Sprechen, sondern sie steht nur im Widerspruch zur Geschwätzigkeit und Streitsucht. Wer wollte leugnen, daß vieles von dem, was heute geredet und geschrieben wird, viel mehr den Charakter der Geschwätzigkeit als den Charakter des guten Redens hat. Es gibt aber auch ein falsches Schweigen, das nicht weniger gefährlich ist als das unrechte Reden. Falsch ist das Schweigen aus Trotz, aus Protest oder aus reiner Ablehnung. Ebenso falsch ist das Schweigen aus Feigheit oder mangelnder Entschlossenheit. Das einzig fruchtbare Reden des Christen wird geboren aus dem geduldigen und ununterbrochenen Hören auf jene Stimme, die immer nur im Schweigen hörbar ist.

Weihnacht ist das Fest des nächtlichen Schweigens. Die Frohbotschaft von der Geburt des Herrn wird den Stillen und Einfachen auf den Gefilden Bethlehems zuteil.

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