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Shakespeare und die Priester

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Der Verfasser Ist Kaplan in Wien

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Der Verfasser Ist Kaplan in Wien

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Wir waren der erste Weihejahrgang, der zahlenmäßig unter zehn Mann fiel. Sechs Weihekandidaten waren wir insgesamt: sechs Priester für eine Diözese mit über zwei Millionen Menschen!

Damals versuchte ich noch, den Schock wegzustecken. Ein paar Wochen vor der Priesterweihe hatte ich Shakespeares „Heinrich V." wieder zur Hand genommen. Zufällig. Und fand meine Gemütsverfassung widergespiegelt.

Im Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England war es. Die Engländer, ausrüstungs- und zahlenmäßig unterlegen, standen bei Azin-court den Franzosen gegenüber. Ein kleines, demoralisiertes Häufchen Menschen, gegen eine siegessichere, unzählbare Truppe. Die Franzosen würfelten schon um die Siegesbeute, man hörte ihr Lärmen und Feiern. Das bißchen Mut, das bei den Engländern noch da war, sank weit unter Null.

Wozu diese Schlacht kämpfen?

Während sie so sinnieren und immer trübseliger werden, taucht ihr König Heinrich bei ihnen auf. Von Zelt zu Zelt, von Lagerfeuer zu Lagerfeuer geht er, spricht mit ihnen. Was sie bewegt, was sie bedrückt, was ihnen Angst macht, will er erfahren.

Selber gedrückt von der Verantwortung für seine Soldaten und ihre Angehörigen, von der scheinbaren Aussichtslosigkeit stark bedrängt, hat er Zeit Tür sie. Mit jedem redet er, überall taucht er auf, keinen läßt er aus.

Die Franzosen auf der anderen Seite können den Tagesanbruch nicht erwarten, der ihnen den raschen Sieg bringen laquo;oll. Und der Tag kommt, und das Unfaßbare geschieht: Die Engländer gewinnen die Schlacht!

Unsere geringe Zahl könnte uns gleich den Engländern mutlos machen, meinte ich damals. Aber wenn wir einen König haben wie sie, werden wir den Sieg erringen. Allerdings dachte ich seinerzeit noch sehr menschlich...

Zehn Jahre sind seither vergangen. Zehn Jahre der Einsichten, Erkenntnisse und Anregungen.

Gute haben wir immer zu wenig gehabt, Falotten immer zuviel, hat mir ein im Dienst ergrauter Seelsorger über die Priester gesagt. So arg, meinte ich, wird es nicht sein, bin ich doch selber durch begeisternde Priestertypen vom Geist Gottes angerührt worden.

Aber dann hat man gelebt mit den Mitbrüdern. Zur Anfechtung mehr denn zum Trost. Deprimierende Dekanatskonferenzen. Daß erwachsene Männer drei Stunden lang so beisammen sein können!

Oder die skurillen Lebensformen einer im Tiefsten sinnvollen und doch manchesmal so sinnlosen Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, Zölibat genannt. Die Narzißtypen, die Autoritäten, die Egoisten, die, deren Idealismus dem praktischen, handgreiflichen Dahinleben gewichen ist . . .

Und dabei werden wir immer weniger. Da erhängt sich einer auf dem Land mit Gemeinde über Gemeinde, Messe über Messe, und junge Priester ziehen aus Jahrgängen, die ohnehin nur drei, vier, fünf Leute umfassen, zum Studium ab. „Fachleute der mittleren Ebene" nennen sie das. Gott weiß, wo diese mittlere Ebene liegt.

Und dann bietet man noch als Reportage, scheinbar zu Werbezwecken, einen „Blaulichtpfarrer" an, der von Gemeinde zu Gemeinde hetzt, am geruhsamen Tag des Herrn. Wunderbar, werbewirksam ...

Jahresthemen, Dekanatskonferenzen, Studientage, Gebetsstunden - alles gibt es zum Thema Priesternachwuchs (oder Priestermangel, wie man will).

Ich habe, offen gestanden, auch keine Patentlösung (außer daß - siehe oben - begeisternde Priester nötig wären).

Ich kann mir höchstens denken, daß Gott durch diese Situation etwas sagen möchte. Was, weiß ich noch nicht ganz.

Aber auf eines bin ich schon draufgekommen:

Der König Heinrich ist im Vergleich nicht menschlich zu fassen. Mit uns ist ein andrer König an den Wachtfeuern der Zeit unterwegs.

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